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Winternacht

Winternacht

Titel: Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmine Galenorn
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nicht. Vor uns lagen noch schlimmere Wesen und Zauber, die den Herzstein schützen sollten, und sie würden uns bekämpfen, denn schließlich konnten wir Feinde sein, die den Sommer vernichten wollten.
    Wir bahnten uns unseren Weg durch den Wald aus Stein und Wurzeln. Der Albinoefeu ließ seine Ranken in unser Haar fallen und versuchte, uns zurückzuhalten. Ich wischte sie weg, aber sie bewegten sich wie Schlangen, fuhren zurück, stießen wieder vor, und ich glaubte sie zischeln zu hören. Doch weder griffen sie ernsthaft an, noch hatten sie Dornen oder Reißzähne.
    Sie sind die Augen und Ohren dieses Grottenwalds.
    Sind es fühlende Wesen?
    So fühlend, wie jede Pflanze im Sommerreich es wohl ist. Ja, sie wissen, dass wir hier unten gehen, aber ihre Gedanken sind verschleiert und schwer auszumachen. Sie warnen nicht mit lauten Geräuschen, aber sie können miteinander flüstern und einander mitteilen, dass Eindringlinge unterwegs sind.
    Und tun sie das?
    Ja, das tun sie. Ich höre sie, wenn ich auch ihre Gedanken und Wörter nicht formulieren kann.
    Ich berichtete den anderen, was ich von Ulean erfahren hatte, aber es gab nichts, was wir tun konnten. Grieve musterte verstohlen jede Ranke, unter der er herging, griff aber nicht an. Je weniger wir uns wie Störenfriede benahmen, umso weniger Ärger würden wir bekommen. Theoretisch jedenfalls.
    Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass wir beobachtet wurden. Immer mehr Augenpaare schienen auf uns gerichtet, als sei der ganze bizarre Wald plötzlich zum Leben erwacht, aber ich wusste nicht, wo sich das Leben hier versteckte. Falls es sich denn versteckte. Vielleicht sahen wir die Wesen, vor denen wir uns verbergen wollten, längst – in den Luftwurzeln und hängenden Steinsäulen.
    Schließlich kamen wir an eine Weggabelung. Erschöpft ließ ich mich auf den Boden sinken.
    »Wir müssen uns ausruhen.« Ich sah zu den anderen auf. »Ob wir ein bisschen Schlaf kriegen könnten?«
    »Das wäre nicht die schlechteste Idee. Hier im Feenreich schreitet die Zeit anders voran. Wir können unmöglich sagen, wie viel Zeit in der Außenwelt vergangen ist, aber wahrscheinlich weniger als hier. Grieve und ich sind stark hier unten. Wir können über euch wachen, während ihr ein wenig schlaft.« Chatter deutete an den Wegrand. »Ihr müsst euch wohl auf den Boden legen, aber wenigstens ist es nicht kalt.«
    Müde suchten Kaylin, Rhiannon und ich uns die weichsten Stellen in der Erde und überließen uns dankbar dem Schlaf.

    Flatternd öffneten sich meine Lider. Wo war ich? Aber dann fiel es mir wieder ein. Wir waren in den Gefilden des Sommers und suchten nach Lainules Herzstein. Als ich mich langsam aufsetzte und gähnte, fühlte sich mein Kopf klarer an als zuvor.
    »Hast du gut geschlafen, Geliebte?« Grieve stand noch immer dort, wo er gewesen war, als ich mich schlafen gelegt hatte. Chatter saß neben Rhiannon und blickte ins Leere. Als ich aufstand, weckte er meine Cousine und Kaylin.
    »Ja. Wie lange sind wir weg gewesen?«
    »Keine Ahnung. Die Zeit vergeht hier anders. Aber ein Weilchen habt ihr schlafen können.« Grieve küsste mich sacht, dann wandte er sich Chatter zu, um das weitere Vorgehen zu planen, während Rhia und ich hinter einem Felsen verschwanden, um uns um sehr private Angelegenheiten zu kümmern.
    Als wir zurückkehrten, fühlte ich mich wirklich viel besser. Auch Rhia und Kaylin wirkten erfrischt.
    »In welche Richtung?«, fragte ich.
    »Nach rechts, denke ich.« Grieve deutete auf den Pfad und setzte sich in Bewegung, und wir anderen folgen ihm. Wieder ging es durch einen Wald aus Tropfsteinsäulen und dicken Luftwurzeln, und die Luft war schwer von den Gerüchen nach Moos und fetter Erde. Ich hatte keine Ahnung, wohin wir gingen, aber mein Instinkt sagte mir, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Je weiter wir kamen, umso zäher und kompakter schien die Luft, bis sie schwer auf unseren Lungen lastete. Die Magie verdichtete sich kontinuierlich, und fast erwartete ich, Riesenpilze oder Monsterkrabben wie in alten Filmen zu sehen, aber nichts geschah.
    Grieve sah mich an und streckte die Hand nach mir aus. Ich nahm sie, als der Pfad sich vor uns verengte. Die Wurzeln waren so gigantisch, dass ich mir kaum vorstellen konnte, wie die dazugehörigen Bäume aussehen mochten. Hier schienen sie wirklich die Rippen der Erde zu sein, die das Innerste schützen.
    Als wir an eine schmale Öffnung kamen, die der Eingang zu einer weiteren Höhle zu sein schien, zog

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