Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
Vom Netzwerk:
Bauch war eingefallen. »Lauf Jessup nicht nach.« Er setzte sich. »Kaffee.« Er klopfte mit den Fingern Pferdegetrappel auf den Tisch. »Worum geht’s bei dem ganzen Scheiß überhaupt?«
    »Ich muss Dad finden und dafür sorgen, dass er vor Gericht erscheint.«
    »Das ist sein eigener Entschluss, Mädchen, und nichts, wo du deine neugierige Nase reinstecken solltest. Ob er kommt oder nicht, liegt ganz allein bei dem, der ins Gefängnis soll. Nicht bei dir.«
    Onkel Teardrop war Jessups älterer Bruder und schon länger Meth-Koch, doch in seinem Labor war einmal etwas schiefgelaufen, und das hatte ihm das linke Ohr vom Kopf gefressen und ihm eine üble Narbe den Hals hinunter bis zur Mitte des Rückens gebrannt. Es gab nicht mal mehr genug Ohrknubbel, um eine Sonnenbrille daran aufzuhängen. Die Haare um das Ohr herum waren ebenfalls verschwunden, und über dem Kragen konnte man die Narbe sehen. Drei blaue Tränen aus Knasttinte fielen aus dem Augenwinkel seiner vernarbten Gesichtshälfte. Man erzählte sich, die Tränen würden bedeuten, er habe im Gefängnis drei furchtbare Taten begangen, die erledigt werden mussten, über die man aber besser kein Wort verlor. Die Tränen, so sagten alle, verrieten einem, was man über den Mann wissen musste. Das verlorene Ohr betonte dies nur noch. Meist versuchte Teardrop,sich mit der geschmolzenen Seite in Richtung Wand zu setzen.
    »Na, komm schon, du weißt doch, wo er ist, oder etwa nicht?« fragte Ree.
    »Und wo ein Mann sich aufhält, das geht dich auch nichts an.«
    »Aber du hast …«
    »Ihn nicht gesehen.«
    Teardrop starrte Ree mit einem Ausdruck von Endgültigkeit an, dass Victoria dazwischenging und fragte: »Wie geht’s deiner Ma?«
    »Nicht besser.«
    »Und den Jungs?«
    Ree wich dem Blick aus, sah zu Boden, schien vor Angst in sich zusammenzufallen.
    »Ein bisschen schwach, aber nicht richtig krank«, antwortete sie. Sie sah auf ihre verkrampften Hände, die in ihrem Schoß lagen, und bohrte sich die Fingernägel in die Handflächen, so fest, dass rosige Halbmonde auf ihrer milchweißen Haut erschienen. Dann wandte sie sich verzweifelt in Teardrops Richtung. »Könnte er wieder mit Little Arthur und den anderen unterwegs sein? Was meinst du? Mit der Meute aus Hawkfall? Sollte ich dort nach ihm suchen?«
    Teardrop hob die Hand, um ihr eine Ohrfeige zu geben. Er ließ sie fliegen, lenkte sie aber Zentimeter an Rees Gesicht vorbei in die Schale. Seine Finger gruben sich geräuschvoll in die Nüsse und griffen nach der silbernen Pistole. Er ließ die Waffe auf der flachen Hand hüpfen, so alswürde er ihr Gewicht prüfen. Dann seufzte er und fuhr mit einem Finger sanft am Lauf der Waffe entlang, um ein paar Salzkörner abzuwischen.
    »Nicht du und auch sonst keiner geht nach Hawkfall rüber und fragt die Leute dort nach Sachen, über die sie nicht reden wollen. Das ist die beste Methode, um von den Schweinen gefressen zu werden, was du dir dann auch wünschen würdest. Du bist doch keine verblödete Stadtgöre. Du weißt es besser.«
    »Aber wir sind doch alle miteinander verwandt, oder nicht?«
    »Die Beziehungen zwischen unserem Tal hier und Hawkfall sind unklar. Besser als mit Fremden oder Stadtmenschen, aber noch lange nicht so, als wären wir auch aus Hawkfall.«
    »Du kennst alle Leute da drüben, Teardrop«, sagte Victoria. »Du könntest doch mal fragen.«
    »Halt die Schnauze.«
    »Ich meine ja nur, keiner von denen hat’s eilig, sich mit dir anzulegen. Ree muss dringend mit Jessup sprechen, wenn er dort ist.«
    »Ich habe es doch schon einmal gesagt, halt’s Maul.«
    Ree steckte fest. Sie kam sich allein vor, verloren in einem Sumpf aus hasserfüllten Verpflichtungen. Es würde keine schnelle Lösung geben, keine Antwort, keine Hilfe. Ihr war nach Weinen zumute, aber das tat sie nicht. Man konnte sie mit einer Gartenharke verprügeln, ohne dass sie weinte, das hatte sie zwei Mal bewiesen, bevor Großmutter bei Sonnenuntergang einen Engel sah, der miternstem Gesicht von den Baumwipfeln herunterzeigte, und der Flasche abschwor. Ree würde niemals weinen, wo man ihre Tränen sehen und sie ihr vorhalten konnte. »Verdammt, Dad ist dein einziger Bruder!«
    »Denkst du, das hab ich vergessen?« Er packte das Magazin und rammte es in die Pistole, dann warf er es wieder aus und schleuderte beides zurück in die Schale. Er ballte die rechte Hand zur Faust und rieb sie mit der Linken. »Jessup und ich sind seit bald vierzig Jahren zusammen unterwegs, aber ich

Weitere Kostenlose Bücher