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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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den Armen fuchtelte und eine erregte, aber durchaus schlüssige Philippika hielt. Key und Rose, die sich sozusagen fast bis zum Parkett vorgearbeitet hatten, beäugten ihn mit heftigem Argwohn, derweil ihnen seine Worte ins Bewusstsein drangen.
    »Nu, und was hat er euch gebracht, der Krieg?«, rief der Jude hitzig aus. »Schauts euch doch um, schauts euch nur um! Seids geworden reich? Habts gekrickt ’n Haufen Geld? – nebbich; von Glück könnts sagen, wenns noch seid am Leben und habt behalten eure Beine alle zwei; von Glück könnts sagen, wenns seid heimgekehrt und eure Frau ist euch noch nicht davongelaufen mitm andern, der hat gehabt das Geld, dass er vom Krieg sich frei konnt kaufen! Dann könnts ihr sagen von Glück! Wer hat denn schon Gewinn gehabt davon, wer denn schon außer J. P. Morgan und John D. Rockefeller?«
    An dieser Stelle unterbrach ein feindlicher Fausthieb die flammende Rede des kleinen Juden und traf punktgenau sein bärtiges Kinn, so dass er umkippte und rücklings, alle viere von sich streckend, auf dem Pflaster liegen blieb.
    »Gottverdammter Bolschewist!«, schrie der stramme Schmied in Soldatenuniform, der ihm den Hieb verabfolgt hatte. Beifälliges Gebrabbel erhob sich; die Menge rückte noch dichter zusammen.
    Der Jude rappelte sich wieder auf, wurde jedoch sogleich von einem halben Dutzend neuer Fäuste getroffen und ging abermals zu Boden. Diesmal blieb er unten; er atmete schwer, Blut quoll aus seiner von innen und von außen aufgeplatzten Lippe.
    Alles kreischte und schrie wild durcheinander, und im nächsten Augenblick merkten Rose und Key, wie die bunt zusammengewürfelte Rotte, angeführt von einem spillerigen Zivilisten mit einem Schlapphut auf dem Kopf und jenem Muskelpaket in Uniform, das den Volksredner zum Schweigen gebracht hatte, sie mitriss die Sixth Avenue hinunter. Auf wundersame Weise war der Mob inzwischen zu einem furchterregenden Haufen angewachsen, rechts und links auf dem Gehsteig eskortiert von Strömen unbeteiligter Bürger, die die Menge mit gelegentlichen Hurrarufen ihrer moralischen Unterstützung versicherten.
    »Und wohin jetzt?«, brüllte Key seinem Nebenmann ins Ohr. Der zeigte auf den Anführer mit dem Schlapphut.
    »Der da, der weiß, wo’s noch ’n ganzen Haufen von der Sorte gibt! Denen werden wir’s zeigen!«
    »Denen werden wir’s zeigen!«, flüsterte Key überglücklich Rose zu, der den Satz entzückt seinem Nebenmann auf der anderen Seite zurief.
    Der Zug wogte weiter die Sixth Avenue hinunter, und hie und da schlossen sich Soldaten und Matrosen und ab und zu auch Zivilisten an, allesamt mit der unvermeidlichen Erklärung, sie seien selber gerade raus aus der Armee – ein Satz, den sie vorzeigten wie den Mitgliedsausweis eines jüngst gegründeten Sport- und Vergnügungsclubs.
    Dann schwenkte der Zug in eine Querstraße ein und bewegte sich auf die Fifth Avenue zu, und hier und da war das Gerücht zu hören, sein Ziel sei eine Versammlung der Roten in der Tolliver Hall.
    »Wo ist das denn?«
    Die Frage wurde von hinten nach vorne weitergereicht, und gleich darauf kam die Antwort zurück: Die Tolliver Hall sei unten an der Tenth Street. Es sei übrigens noch ein zweiter Haufen von Kommissköppen unterwegs, um diese Kundgebung zu sprengen, die müssten mittlerweile angekommen sein!
    Tenth Street – das hörte sich indes nach einem ziemlich weiten Fußmarsch an, und so erhob sich, als das Wort die Runde machte, allgemeines Stöhnen, und eine ganze Menge Leute zog es vor, sich zu verkrümeln. Darunter Rose und Key, die einfach im Spazierschritt weiterschlenderten und die Entflammteren an sich vorüberziehen ließen.
    »Also, ’n Schnäpschen wär mir lieba«, sagte Key, als sie schließlich stehenblieben und sich, begleitet von Schmährufen wie »Rohrkrepierer!« und »Drückeberger!«, zum Trottoir durchdrängelten.
    »Dein Bruda, is dem seine Kneipe nich vielleicht ürgntwo hia im Dreh?«, fragte Rose mit der Miene eines Mannes, der genug hat von den Oberflächlichkeiten und zum Wesentlichen kommt.
    »Müsste einklich«, erwiderte Key. »Hab ’n paar Jahre nich gesehn. Weil, ich war doch drühm in Pennsylvania. Kann sein, er arbeit’ übahaups nich abens. Is jehnfalz gleich hia inna Nähe. Wenna noch da is, kanna uns bestümmt ürgntwas besorgen.«
    Ein paar Minuten suchten sie die Straße rauf und runter, dann hatten sie das Etablissement gefunden – ein schäbiges Lokal, wenn auch immerhin mit Tischdecken, zwischen der Fifth

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