Winterträume
Leute –«
»Meine Leute!«, brauste das Wunderkind auf. »Meine Leute haben nichts unversucht gelassen, um ein monströses Scheusal aus mir zu machen.« Sein Gesicht verfärbte sich hochrot, so ungeheuerlich war das, was er ihr noch weiter zu erwidern hatte: »Meine Leute, die können mir mal im Mondschein begegnen!«
»Herr im Himmel!«, rief Marcia erschrocken. »Im Mondschein? Mitten in der finstren Nacht?«
»Ja doch, und von mir aus sogar ohne Mondschein«, bekräftigte er, immer noch ganz außer sich. »Ich darf gar nicht daran denken – die haben wirklich und wahrhaftig zugesehen, wie aus mir so eine vertrocknete kleine Mumie wurde –«
»Eine vertrocknete kleine Mumie? Wie kommst du denn auf die Idee?«, fragte Marcia leise. »Wegen mir –?«
»Ja. Seit ich dich getroffen habe, bin ich eifersüchtig auf all die Menschen da draußen auf der Straße, weil die schon vor mir wussten, was Liebe ist. Ich habe immer nur ›geschlechtlicher Impuls‹ dazu gesagt. Mein Gott!«
»Es gibt aber noch mehr ›Abers‹«, sagte Marcia.
»Und die wären?«
»Wovon sollen wir denn leben?«
»Ich verdiene unseren Lebensunterhalt.«
»Du gehst aufs College.«
»Glaubst du etwa, mir liegt irgendwas daran, meinen Magister zu machen?«
»Du willst lieber bei mir alle Magister ziehn, stümmt’s?«
»Ja! Was? Ich meine, nein!«
Marcia lachte, und dann ging sie schnell zu ihm hinüber und setzte sich auf seinen Schoß. Er nahm sie stürmisch in den Arm und pflanzte ihr ein verkümmertes Küsschen irgendwo neben den Hals.
»Du hast irgendwie so was Ahnungsloses an dir«, sinnierte Marcia, »obwohl das nich so richtig logisch klingt.«
»Ach, nun sei doch nicht so furchtbar vernünftig!«
»Da kann ich doch nüscht dafür«, sagte Marcia.
»Ich hasse Menschen, die wie Automaten sind!«
»Aber wir –«
»Ach, sei still!«
Und weil sie nicht mit den Ohren reden konnte, blieb Marcia gar nichts weiter übrig.
IV
Anfang Februar heirateten Horace und Marcia. In den akademischen Zirkeln sowohl von Princeton als auch von Harvard war das eine ausgemachte Sensation. Horace Tarbox, den die Sonntagsbeilagen der New Yorker Zeitungen schon mit vierzehn hochgejubelt hatten, warf einfach seine ganze Karriere über den Haufen, seine Chance, eine weltweite Autorität auf dem Gebiet der amerikanischen Philosophie zu werden, und heiratete eine kleine Ballettratte – aus Marcia machten sie eine Ballettratte. Doch wie alle modernen Märchen, so war auch dies nur ein Viereinhalbtagewunder.
Die zwei bezogen eine Wohnung in Harlem. Nach zweiwöchiger Suche, in deren Verlauf seine Vorstellungen vom Wert einer akademischen Bildung gnadenlos dahinschwanden, nahm Horace einen Posten als Angestellter bei einer südamerikanischen Exportfirma an; irgendjemand hatte ihm gesagt, Export sei das Geschäft der Zukunft. Marcia sollte noch ein paar Monate weiter bei ihrer Show mitmachen, bloß so lange, bis er richtig Fuß gefasst hatte. Für den Anfang kriegte er hundertfünfundzwanzig, und obwohl man ihm erklärte, es sei bloß eine Frage von ein paar Monaten, bis er das Doppelte verdienen würde, dachte Marcia nicht im Traum daran, die hundertfünfzig pro Woche sausenzulassen, die sie zu dieser Zeit bekam.
»Weißt du, Lieber«, sagte sie sanft, »wir nenn’ uns einfach ›Kopf & Schultern‹, und die Schultern müssen sich eben noch ’n Weilchen weiter schütteln, bis der olle Kopf wieder zum Zuge kommt.«
»Ich hasse das«, maulte er düster.
»Tja«, erwiderte sie unumwunden, »dein Gehalt langt aber nichma für die Miete. Büld dir man bloß nich ein, ich bin drauf scharf, mein Publikum zu ham – ganz würklich nicht. Ich will nur dir gehören. Aber ich werd doch nich so blöd sein und zu Hause sitzen und auf der Tapete die Sonnenblumen zählen, derweil ich auf dich warte. Sieh zu, dass du denen dreihundert die Woche ausm Kreuz leierst, dann hör ich sofort auf.«
Und sosehr die Angelegenheit auch seinen Stolz verletzte, so musste Horace doch zugeben, dass Marcias Kurs gescheiter war als seiner.
Der Märzschnee schmolz, es wurde April. Der Mai las den Parks und Gewässern von Manhattan eine gewaltige Umsturzerklärung vor, und unsere beiden waren glücklich miteinander. Horace, der keinerlei Gewohnheiten hatte – er hatte ja nie Zeit gehabt, welche zu entwickeln –, erwies sich als ungemein anpassungsfähiger Ehemann, und da Marcia zu den Themen, die seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, keinerlei eigene Ansichten
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