Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
Vom Netzwerk:
hatte, gab es so gut wie keine Reibereien und Zusammenstöße. Ihr Denken bewegte sich in ganz verschiedenen Sphären. Marcia spielte die Rolle des praktischen Faktotums, und Horace lebte entweder in seiner alten Welt der abstrakten Ideen oder aber in einer Art triumphal-irdischer Anbetung und Bewunderung seiner Frau. Mit der Frische und Originalität ihres Geistes, ihrer dynamischen Energie, ihrem klaren Kopf und ihrer nie versiegenden guten Laune war sie ihm eine unerschöpfliche Quelle fortwährenden Erstaunens.
    Ihre Kollegen von der Einundzwanzig-Uhr-Show, auf die Marcia ihre Talente verlegt hatte, beeindruckte sie mit ihrem unerhörten Stolz auf die Geistesgaben ihres Gatten. Horace indes kannten sie nur als einen sehr schlaksigen, verkniffen dreinschauenden, unreif aussehenden jungen Mann, der seine Frau nach jeder Vorstellung abholen kam.
    »Horace«, sagte Marcia eines Abends, als sie sich wie üblich um dreiundzwanzig Uhr vorm Theater auf der Straße trafen, »du siehst ja aus wie ein Gespenst hier unter den Laternen. Hast du abgenommen?«
    Er schüttelte zerstreut den Kopf.
    »Weiß ich nicht. Ich krieg ab heute hundertfünfunddreißig Dollar, und –«
    »Das is mir schnuppe«, sagte Marcia streng. »Du bringst dich noch mal um mit deine Nachtarbeit. Andauernd liest du diese ganzen dicken Bücher über Ökomonie –«
    »Ökonomie«, verbesserte Horace.
    »Ja doch, jede Nacht liest du da drin, wenn ich schon lange schlafe. Und du gehst auch schon wieder so nach vorne gebeugt, wie früher, eh wir geheiratet ham.«
    »Aber Marcia, ich muss doch –«
    »Nein, musst du ganich, Lieber. Vorläufig bin ich ja wohl hier die Seele vons Ganze, und ich werd nich zulassen, dass mein Schatz sich die Gesundheit ruiniert und die Augen verdirbt. Du musst ’n bisschen Sport treiben.«
    »Mach ich doch. Ich mache jeden Morgen –«
    »Weiß ich ja! Aber deine komischen Hanteln, die reißen’s einfach nich raus. Ich meine richtig Sport. Du musst dich in ’nem Turnverein anmelden. Weißt du denn nicht mehr? Du hast mir doch selber erzählt, was du früher mal für ’n Turn-Ass warst, aufm College wollten sie dich sogar in ihre Riege aufnehmen, aber da is dann doch nüscht draus geworden, weil du schon ’n Dauer-Rendezvous mit Herb Spencer hattest, stümmt’s?«
    »Stimmt, Freude hat’s mir damals schon gemacht«, sinnierte Horace, »inzwischen wär mir aber meine Zeit zu schade.«
    »Na gut«, sagte Marcia, »wir machen ein Geschäft. Wenn du in ’n Turnverein gehst, dann lese ich das eine Buch da oben aus der braunen Reihe.«
    »Das Tagebuch von Samuel Pepys? Ach ja, das müsste dir eigentlich gefallen. Pepys ist auch wirklich leicht zu lesen.«
    »Aber nicht für mich – für mich bestümmt nicht. Für mich ist das so ungefähr, wie wenn ich Flachglas kaue. Aber du sagst ja immer, das würde meinen Horizont erweitern. Also, du gehst ab jetzt dreimal die Woche in den Turnverein, und ich, ich führe mir ’ne dicke Dosis Sammy zu Gemüte.«
    Horace zögerte.
    »Hm –«
    »Na, nu komm schon! Du machst mir zuliebe ’n paar Riesenumschwünge, und ich, ich hole dir zuliebe ’n bisschen bei die kulturelle Büldung auf.«
    Und so gab Horace schließlich nach und ging den ganzen glühend heißen Sommer lang drei und mitunter sogar vier Abende die Woche in Skipper’s Turnhalle, um am Schaukelreck zu üben. Und im August gestand er Marcia, dass er dadurch besser in der Lage sei, tagsüber geistig zu arbeiten.
    »Mens sana in corpore sano«, sagte er.
    »Glaub da bloß nich dran«, entgegnete Marcia. »Ich hab ’n paar von diesen Wundermittelchen probiert, taugt alles nüscht. Geh du mal lieber weiter turnen.«
    Eines Abends Anfang September, er ging gerade eine seiner Verrenkungen an den Ringen noch einmal durch, sprach ihn in der fast leeren Turnhalle ein dicker, nachdenklicher Mann an, der ihn, wie ihm nicht entgangen war, schon seit einer ganzen Weile Abend für Abend beobachtet hatte.
    »Hömma, mein Junge, kannze vülleicht die Nummer von gestern Abend nochma machn?«
    Horace grinste aus luftiger Höhe zu ihm hinab.
    »Die hab ich mir selbst ausgedacht«, sagte er. »Auf die Idee hat mich Euklid gebracht mit seinem vierten Satz.«
    »Bei was für ’n Zirkus is ’n der?«
    »Der ist tot.«
    »Ach was? Hat sich bestümmt ’n Hals gebrochen bei die Nummer, hä? Wie ich gestern Abend hier zugekuckt hab, wo du das schomma gemacht hast, da hab ich richtig Angst gehabt, du brechst dir auch gleich das

Weitere Kostenlose Bücher