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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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hast du getan! Na, du bist aber mutig!«
    Er machte eine Verbeugung.
    »Das ist doch eine Eigenschaft, für die das Bürgertum bekannt ist«, sagte er.
    Nun stürzte sich der Morgen mit Wucht aufs Deck und schleuderte die Schatten seitwärts in die grauen Ecken. Der Tau stieg auf, verwandelte in goldenen Nebel sich, dünn wie ein Traum, und hüllte beide ein, bis sie aussahen wie unendlich flüchtige und schon verblassende Altweibersommerüberbleibsel der späten Nacht. Für einen Augenblick hielten der Himmel und das Meer den Atem an, das Licht des Morgens schlug die rosige Hand dem Leben vor den jungen Mund, und dann kam das mürrische Ächzen eines Ruderboots über den See heran, und sie hörten das Plätschern der Ruder.
    Plötzlich, vor dem goldenen Glühen tief im Osten, verschmolzen die zwei anmutigen Schemen zu einem einzigen: Carlyle gab Ardita einen Kuss auf den verwöhnten jungen Mund.
    »Auch eine Art von Ruhm«, murmelte er eine Sekunde später.
    Sie lächelte zu ihm empor.
    »Na, glücklich, ja?«
    Arditas Seufzen war ein Segen – eine ekstatische Versicherung, dass sie wirklich und wahrhaftig die Jugend und die Schönheit war und es nie wieder so sehr sein würde wie gerade jetzt. Noch einen Augenblick lang war das Leben Glanz, die Zeit jedoch nur ein Phantom und endlos ihrer beider Kräfte – dann gab es einen dumpfen Knall, ein schabendes Geräusch, das Ruderboot schrammte den Rumpf der Yacht.
    Zuerst kamen die beiden Grauschädel die Leiter hochgeklettert, es folgten der Offizier und die zwei Matrosen, die Hand am Revolver. Mr. Farnam verschränkte die Arme vor der Brust und sah seine Nichte an.
    »So«, sagte er und nickte bedächtig.
    Seufzend löste Ardita sich von Carlyle, und ihr verklärter Blick, der von weit her zu kommen schien, fiel auf die Neuankömmlinge. Ihr Onkel sah, wie sie langsam die Unterlippe vorschob und jenen hochmütigen Schmollmund machte, den er so gut kannte.
    »So«, wiederholte er grimmig. »So, das ist also deine Vorstellung von – von Romantik. Durchbrennen wolltest du, mit einem Piraten auf hoher See.«
    Ardita sah ihn völlig unbekümmert an.
    »Was bist du doch für ein alter Dummkopf!«, sagte sie seelenruhig.
    »Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«
    »Nein«, erwiderte sie, und dann nach kurzem Überlegen: »Nein, da ist noch etwas. Da ist noch der bekannte Satz, mit dem ich in den letzten Jahren den größten Teil unserer Gespräche beendet habe: ›Halt die Klappe!‹«
    Und damit drehte sie sich um, musterte die zwei alten Männer, den Offizier und die beiden Matrosen mit einem raschen, verächtlichen Blick und stieg stolz die Kajütstreppe hinunter.
    Wäre sie freilich nur einen Augenblick länger oben an Deck geblieben, so hätte sie erleben können, wie ihr Onkel ein Geräusch von sich gab, das in den Zwiegesprächen, die sie mit ihm hatte, nur äußert selten zu hören war. Er machte sich mit einem herzhaften, vergnügten Lachen Luft, und der andere alte Mann – der lachte ebenfalls.
    Dann wandte dieser andere sich forsch an Carlyle, der der Szene mit kryptisch belustigter Miene beigewohnt hatte.
    »Na, Toby«, sagte er heiter, »du unverbesserlicher Narr, du alter Romantiker, du Phantast, hast du dich nun überzeugt, dass sie diejenige ist, die du gesucht hast?«
    Carlyle lächelte selbstbewusst.
    »Aber natürlich«, sagte er. »In dem Punkt war ich mir von Anfang an ganz sicher, gleich als mir zu Ohren kam, was für ein Wirbelwind sie ist. Drum hab ich ja auch letzte Nacht Babe raufgeholt, damit er die Rakete steigen lässt.«
    »Da bin ich aber wirklich froh«, sagte Colonel Moreland ernst. »Wir sind ziemlich dicht an euch drangeblieben, falls dir diese komischen sechs Nigger irgendwie Scherereien machen sollten. Und was haben wir uns Sorgen gemacht, ob wir euch beide dann auch tatsächlich in einer kompromittierenden Situation erwischen«, seufzte er. »Nun ja, mit Speck fängt man Mäuse!«
    »Dein Vater und ich, wir sind die ganze Nacht aufgeblieben und haben gehofft, dass alles gut wird. Aber ob es so nun wirklich gut ist? Gott weiß, wie gerne sie dich mag, mein Junge. Schier in den Wahnsinn hat sie mich getrieben. Hast du ihr schon das russische Armband geschenkt, das diese Mimi Dingsbums meinem Detektiv ausgehändigt hat?«
    Carlyle nickte.
    »Psst!«, sagte er. »Sie kommt an Deck.«
    Ardita tauchte oben an der Kajütstreppe auf und warf unwillkürlich einen raschen Blick auf Carlyles Handgelenke. Erstaunt verzog sie das Gesicht.

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