Winterträume
zerstreut.
»Wie bitte? Ach so, letzten Monat. Na fein, ich vermute mal, die ist wegen des Balls der Gamma-Psi-Verbindung hier. Wusstest du schon, dass wir heute Abend im Delmonico einen Gamma-Psi-Ball der Yale-Absolventen haben? Da musst du unbedingt hinkommen, Gordy. Wetten, dass sich dort halb New Haven trifft? Ich kann dir ’ne Einladung besorgen.«
Dean schlüpfte, wenn auch widerstrebend, in seine frische Unterwäsche, steckte sich eine Zigarette an, nahm am offenen Fenster Platz und machte sich daran, im vollen Schein der Morgensonne, die ins Zimmer fiel, seine Knie und Waden einer eingehenden Inspektion zu unterziehen.
»Setz dich doch, Gordy«, schlug er vor, »und erzähl mir, was du unterdessen so getrieben hast und was du heute treibst und so weiter und so fort.«
Da kippte Gordon völlig unerwartet um und fiel aufs Bett, wo er ermattet und wie leblos liegen blieb. Sein Mund, der ohnehin schon immer etwas offen stand, wenn sein Gesicht entspannt war, sah plötzlich hilflos aus, mitleiderregend.
»Was ist denn los mit dir?«, fragte Dean rasch.
»O Gott!«
»Was ist denn los?«
»Was los ist?«, sagte Gordon kläglich. »Der Teufel ist los, verdammter Mist. Ich bin komplett am Ende, Phil. Ich bin erledigt.«
»Häh?«
»Ich bin erledigt.« Seine Stimme bebte.
Dean sah ihn sich genauer an, taxierte ihn mit seinen blauen Augen.
»Du siehst tatsächlich ganz schön fertig aus.«
»Bin ich auch. Ich hab alles versaut, einfach alles.« Er überlegte einen Moment. »Ich fang am besten ganz am Anfang an – oder langweilt dich das?«
»Nein, nein, überhaupt nicht, schieß los«, erwiderte Dean, doch seine Stimme klang ein ganz klein wenig zögernd. Dieser Ausflug an die Ostküste war als Urlaub geplant gewesen, und so richtig passte es ihm nicht in den Kram, den völlig aufgelösten Gordon Sterrett hier anzutreffen.
»Na, schieß schon los«, wiederholte er und fügte noch ziemlich leise hinzu: »Bring’s hinter dich.«
»Also gut«, fing Gordon zaghaft an, »im Februar bin ich aus Frankreich zurückgekommen, war erst mal vier Wochen daheim in Harrisburg und bin dann runter nach New York, um mir eine Stelle zu suchen. Hab auch eine gefunden – bei einem Exportunternehmen. Und gestern haben sie mich entlassen.«
»Entlassen?«
»Dazu komm ich gleich noch, Phil. Ich will ganz offen zu dir sein. Du bist so ziemlich der Einzige, an den ich mich in dieser Sache wenden kann. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich ganz offen mit dir rede, nicht wahr, Phil?«
Dean ging noch etwas mehr auf Distanz. Er tätschelte weiter seine Knie, inzwischen aber nur mehr rein mechanisch. Ihn beschlich das vage Gefühl, dass ihm da eine Verantwortung aufgebürdet werden sollte für irgendwas, womit er nicht das Geringste zu tun hatte; auf einmal war er sich nicht mehr so sicher, ob er die Geschichte wirklich hören wollte. Er hätte sich überhaupt nicht gewundert, wenn Gordon Sterrett einfach ein bisschen in der Klemme gesteckt hätte, aber so ein Bild des Jammers, nein, das fand er abstoßend, das machte ihn innerlich ganz hart, obwohl es andererseits auch seine Neugier weckte.
»Erzähl weiter.«
»Es geht um ein Mädchen.«
»Hm.« Dean beschloss, sich seine Reise auf keinen Fall vermiesen zu lassen. Sollte Gordon ihm aufs Gemüt schlagen, nun, dann würde er sich eben von ihm fernhalten müssen.
»Jewel Hudson heißt sie«, kam es in bedrücktem Ton vom Bett herüber. »Und sie war, glaube ich, immer noch ›rein‹, bis vor etwa einem Jahr. Wohnt hier in New York – armer Leute Kind. Die Eltern sind inzwischen tot, sie lebt bei einer alten Tante. Weißt du, als ich sie kennengelernt hab, das war die Zeit, als alle in hellen Scharen aus Frankreich zurückkamen – und ich hab weiter nichts gemacht, als die Neuankömmlinge in Empfang zu nehmen und mit ihnen auf Partys zu gehen. Damit hat alles angefangen, Phil, ich hab mich doch einfach bloß so gefreut, die andern alle wiederzusehen, und die haben sich genauso gefreut, mich wiederzusehen.«
»Hättest du mal lieber auf die Vernunft gehört.«
»Ich weiß.« Gordon überlegte kurz und fuhr dann trübsinnig fort. »Jetzt bin ich ganz auf mich gestellt, verstehst du, und, Phil, ich kann es einfach nicht ertragen, arm zu sein. Und dann kam dieses vermaledeite Mädel. Eine Zeitlang war sie in mich verliebt oder so, und irgendwie ist sie mir ständig über den Weg gelaufen, obwohl ich überhaupt nicht vorhatte, mich mit ihr einzulassen. Und diese Exportfirma
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