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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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ich, wenn du da bist, plötzlich die Versuchung, dich zu küssen und dir zu sagen, du bist einfach nur ein idealistischer kleiner Junge mit jeder Menge Kastendenkenquatsch im Kopf. Wenn ich ein klein wenig älter wäre und mich ein kleines bisschen mehr langweilen würde, vielleicht ginge ich dann tatsächlich mit dir mit. So aber mach ich, glaub ich, lieber kehrt und heirate – diesen anderen Mann.«
    Drüben, am gegenüberliegenden Ufer des silbernen Sees, bewegten sich die Schwarzen schlängelnd und zuckend im Mondschein, wie Akrobaten, die aus der Übung sind und alle ihre Tricks durchgehen müssen, um ihre überschüssige Energie loszuwerden. Im Gänsemarsch liefen sie herum, in konzentrischen Kreisen, bald den Kopf in den Nacken geworfen, bald über ihre Instrumente gebeugt wie flötende Faune. Und unaufhörlich heulten die Posaune und das Saxophon ihre wimmernde Melodie, mal jubelnd und rebellisch, mal klagend und gespenstisch wie ein Totentanz aus dem Herzen des Kongo.
    »Komm, wir tanzen!«, rief Ardita. »Bei diesem wunderbaren Jazz hält es mich einfach nicht auf meinem Platz.«
    Er nahm ihre Hand und führte sie zu einem breiten Streifen, der voll im Schein des Mondes lag und wo der Sandboden schön hart und fest war. Wie Motten, die sich treiben lassen, schwebten sie unterm hellen, dunstverhangenen Licht dahin, und während die skurrile Symphonie weinte, frohlockte, bebte und verzweifelt schluchzte, kam Ardita der letzte Rest von Realitätssinn abhanden, sie überließ sich vollends den verträumten Düften des Sommers und der Tropenblumen und den unendlichen bestirnten Weiten über ihr, und ihr war, als würde sie, wenn sie die Augen öffnete, erkennen, dass sie mit einem Geist im Tanz sich wiegte, forttanzte in ein Land, das sie sich selbst mit ihrer Phantasie erschaffen hatte.
    »Das nenn ich einen exklusiven Tanzabend im kleinsten Kreis«, flüsterte er.
    »Ich komme mir ganz schön verrückt vor – aber wunderbar verrückt!«
    »Wir sind verzaubert. Dort oben an der Flanke dieses Riffs, da stehen Generationen und Abergenerationen von Kannibalen und schauen uns zu.«
    »Und wetten, dass die Kannibalenfrauen sagen, wir tanzten viel zu eng und ich sei schamlos, weil ich ohne meinen Nasenring gekommen bin.«
    Sie lachten leise – doch auf einmal erstarb ihr Lachen, denn dort am anderen Ufer hielten die Posaunen inne, mitten im Takt, und die Saxophone stöhnten erschrocken auf und verstummten.
    »Was ist denn los?«, rief Carlyle.
    Einen Augenblick war alles still, dann erkannten sie den dunklen Schemen eines Mannes, der im Eilschritt um den See herum auf sie zukam. Als er nah genug heran war, sahen sie, es war Babe, und er war ungewöhnlich erregt. Er blieb vor ihnen stehen, nahm Haltung an und stieß keuchend und ohne zwischendurch auch nur einmal Luft zu holen, seine Nachricht hervor.
    »Saah, da draußen zikka halbe Meile voraus is eine Siff. Mose, unsa Wache, meinen, sieht sie aus, wie wenn vor Anka liegt.«
    »Ein Schiff?«, fragte Carlyle besorgt. »Was denn für ein Schiff?« Sein Gesicht drückte Bestürzung aus, und als Ardita sah, wie auf einmal seine ganze Miene regelrecht in sich zusammenfiel, krampfte sich ihr das Herz zusammen.
    »Er sagt, nix wissen, Saah.«
    »Haben sie ein Boot runtergelassen?«
    »Nein, Saah.«
    »Wir gehen rauf«, sagte Carlyle.
    Wortlos, sich noch immer bei den Händen haltend wie vorhin, als sie aufgehört hatten zu tanzen, erklommen sie die Anhöhe. Von Zeit zu Zeit spürte Ardita ein nervöses Zucken in Carlyles Hand, als sei ihm gar nicht mehr bewusst, dass er sie festhielt, doch obwohl er ihr weh tat, unternahm sie keinen Versuch, ihm die ihre zu entziehen. Und als sie endlich oben angekommen waren und vorsichtig um das sich als Silhouette vor ihnen abhebende Plateau herum bis an den Rand des Riffes krochen, da kam es ihr so vor, als habe dieser Anstieg eine ganze Stunde lang gedauert. Carlyle warf einen raschen Blick in die Tiefe und stieß unwillkürlich einen leisen Schrei aus. Es war ein Zollboot, Bug und Heck bestückt mit sechszölligen Kanonen.
    »Die wissen Bescheid!«, sagte er und schnappte nach Luft. »Die wissen Bescheid! Irgendwo sind sie uns auf die Spur gekommen.«
    »Bist du sicher, dass sie von dem Seegatt wissen? Vielleicht halten sie sich ja auch bloß klar, um sich die Insel morgen früh mal näher anzugucken. Die Spalte unten im Riff kann man doch von deren Position aus gar nicht sehn.«
    »Sie könnten Feldstecher haben«, sagte er

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