Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
die hart umkämpfte rechte Flanke zu. Eine wilde Freiheit erfasste ihn, als er sich in das Gewühl stürzte. Hier war er nur einer von vielen – eine gute Voraussetzung, um sein erstes Leben zu beenden. Die Horin-Gyre-Reiter warfen sich auf die berittenen Krieger von Kilkry-Haig, und ihr Schwung trieb sie weit in die Reihen des Feinds hinein. Pferd presste sich gegen Pferd, Klinge hieb gegen Klinge. Armbrustbolzen zischten durch die Luft. Lange Zeit gab es nichts außer Blut, Tumult und Tod. Dann hatte Kanin plötzlich keinen Gegner mehr vor sich. Die Kilkry-Reiter strömten zurück zu ihren eigenen Linien. Die Fußsoldaten lösten sich aus ihren Knäueln und traten den Rückzug an. Dabei stolperten sie über Verwundete und von den Pferden Gestürzte. Mit harter Hand zügelte Kanin sein Pferd und schaute sich um. Der Boden war schwarz von Leichen. Hier und da versuchte sich ein verletztes Pferd aus dem Schlamm hochzustemmen. Von allen Seiten waren verzweifelte Hilfeschreie zu hören. Kanin hätte am liebsten laut gejubelt.
Er bahnte sich den Weg zurück zu Wain, gefolgt von seiner triumphierenden Reiterschar. Viele hatten den Tod gefunden. Den Überlebenden war das gleichgültig.
»Was nun?«, fragte Wain.
»Warte!«, wehrte Kanin ab. Sein Herz hämmerte, seine Wangen brannten, und er versuchte die wilde Blutgier zu unterdrücken, die ihn während des Nahkampfs erfasst hatte. Ein Blick auf die Reihen der Feinde brachte ihn zur Besinnung. Es waren immer noch zu viele. Die gut geschulten Kilkry-Reiter formierten sich soeben neu, während die Bogenschützen ihr unerbittliches Werk methodisch fortsetzten. Die Abteilungen der Speerkämpfer schickten sich an, über die Mitte vorzudringen.
»So nahe«, murmelte er.
Wain sah ihn fragend an.
»Wir können nur uns nur verteidigen und so teuer wie möglich verkaufen«, sagte er.
»Die Tarbain nutzen uns bei dieser Art von Kampf so wenig wie eine Herde Ziegen«, murrte Wain.
Wieder erhob sich Hörnerklang, untermalt von Kriegsgeschrei. Auf der anderen Seite des Schlachtfelds setzten sich die Kämpfer Reihe um Reihe in Bewegung. Irgendwo dröhnte eine Trommel.
»Dann auf, unserem Schicksal entgegen!«, rief Wain und riss ihr Pferd herum.
Das Heer von Lannis und Kilkry kam über das sumpfige Gelände näher. In der Mitte des Felds wurde der Boden tief, und die Linien gerieten in Unordnung, als die Männer bis zu den Knöcheln im Morast versanken. Dann preschte erneut die Kavallerie vor und wühlte das nasse Erdreich auf. Kanin schickte ihr seine eigene Reiterei entgegen. Pfeile und Bolzen jagten zwischen den zusammenrückenden Linien hin und her. Das Banner der Stadt Glasbridge fiel und wurde sofort wieder hochgerissen.
Ein stetig anschwellendes Gebrüll erfüllte die Luft, als die Heere die letzte Distanz bis zum Aufeinandertreffen im Laufschritt überwanden. In der Heftigkeit des ersten Ansturms drohte sich die Horin-Gyre-Linie einen Augenblick lang aufzulösen. Aber sie hielt stand. Mit knapper Not.
Kanin ging auf jede Gestalt los, die in seine Reichweite geriet. Er hielt nach Gerain Ausschau, dem Titelerben von Kilkry-Haig, dessen Banner er gesehen hatte, vermochte ihn jedoch im Kampfgetümmel nicht mehr zu entdecken. Ein Pfeil schrammte sein Kettenhemd in Schulterhöhe. Er tauchte unter einem herabsausenden Schwert hindurch und hieb auf die ungeschützte Hüfte des Angreifers ein. Die Klinge schnitt durch Leder, und ein Blutstrahl tränkte seinen Handschuh. Sein Pferd geriet ins Stolpern und schlitterte ein paar Schritte zur Seite, ehe es das Gleichgewicht wiederfand.
Kanin richtete sich auf und spähte umher. Seine Krieger waren in der Unterzahl, und obwohl sie dem Feind schwer zusetzten, war ihre Niederlage nur eine Frage der Zeit. Aber noch während er dies dachte, lief ein Schauder durch die Masse der Kämpfenden, als sei eine mächtige Woge über sie hinweggeschwappt. Er wandte sich um und sah die Inkallim wie einen schwarzen Sturm durch das Gewühl fegen. Shraeve befand sich im Auge dieses Sturms. Ihre Schwerter funkelten wie Lichtstrahlen. Sie stieß einen Tarbain zur Seite, duckte sich und schnellte vor, um einen Kilkry-Krieger aus dem Sattel zu holen. Der Mann starb mit aufgeschlitztem Bauch, ehe er den Boden berührte. Shraeve warf sich herum und durchtrennte einem herangaloppierenden Pferd die Fesseln.
Keiner der Krieger, vielleicht mit Ausnahme der Kämpfer, die in der Nacht der Winterwende in Kolglas gewesen waren, hatte je die Kinder der Hundert
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