Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
Warten.
Im hohen Bogen zischten die Pfeile durch die Luft. Sie regneten herab, viele zu kurz, viele gegen die hoch gehaltenen Schilde prasselnd. Einige trafen auch ihr Ziel und bohrten sich in Hüften oder Brustkörbe. Dieses dumpfe Klatschen, wenn ein Pfeil in weiches Fleisch eindrang, ließ sich mit keinem anderen Geräusch vergleichen. Kanins Pferd tänzelte unruhig, als die ersten Schreie erklangen und ihm der Geruch von Blut und Tod in die Nüstern stieg. Kanin tätschelte ihm den Hals. Ein zweiter Pfeilhagel erreichte sie, dann ein dritter.
»Mehr Armbrüste gegenüber den Reitern aufstellen!«, schrie er Wain zu. Sie nickte und galoppierte davon. Laute Kommandos waren zu hören. Geduckt hasteten Armbrustschützen von links nach rechts. Es blieb ihnen kaum Zeit, gegenüber der Kilkry-Kavallerie Aufstellung zu nehmen, denn schon ertönten Hörner, und die Reiter sprengten über das Schlachtfeld heran. Der nächste Pfeilhagel prasselte nieder. Ein verirrtes Geschoss flog weit über die Kampflinie hinweg und traf einen Tarbain-Krieger neben Kanin. Der entsetzte Ausdruck, mit dem der Barbar Kanin ansah, erstarrte im Tod auf seinen Zügen.
Die Pferde kamen anfangs langsam, von ihren Reitern am kurzen Zügel gehalten. Dann wurden sie schneller und schneller, bis sie im vollen Galopp auf die Gegner zurasten. Hufe donnerten. Erdbrocken flogen umher. Und der Lärm des Angriffs erfasste Kanin, ein anschwellendes Dröhnen, das vom Boden aufstieg und in der Luft vibrierte. Es berührte aufgestaute Gefühle, jagte ihm einen Schauer durch den Brustkorb, weckte eine wilde Kampflust in ihm und trug ihn vorwärts, dem Feindesheer entgegen. Eine Salve von Armbrustbolzen flog auf die Angreifer zu. Pferde stolperten auf dem weichen Untergrund und warfen ihre Reiter ab. Die nachfolgenden Tiere trampelten über sie hinweg. Die Armbrustschützen traten zurück, um neue Bolzen aufzulegen. Speere blitzten entlang der vordersten Reihen auf. Als der Zusammenprall kam, war er wie ein wortloser Schrei aus tausend Kehlen.
Der Speerwall war nicht dicht genug, um alle Pferde abzuhalten, und die Attacke der Reiterei brandete gegen die Fußsoldaten. Innerhalb kürzester Zeit war die rechte Vorderflanke ein einziges Chaos. Pferde stampften durch den Schlamm und über Gefallene hinweg, während ihre Reiter wild mit Schwertern um sich schlugen. Entsetzt wichen die Tarbain-Barbaren hinter Kanins Stellung zurück, während sich die Horin-Gyre-Krieger zu Haufen zusammenrotteten, umkreist und bedrängt von der Kavallerie des Gegners. Schwert- und Speerkämpfer hieben und stachen auf die Pferde ein, während sich die Armbrustschützen bemühten, mit ihren Bolzen die Reiter aus dem Sattel zu holen. Die Schmerzensschreie von Mensch und Tier vereinigten sich zu einer einzigen schrillen Kakofonie.
Kanin spähte die Frontlinie entlang. Überall gerieten die Tarbain ins Wanken. In ganzen Gruppen wichen sie von ihren Stellungen zurück, während die Horin-Gyre-Truppen vergeblich versuchten, sie zum Bleiben zu bewegen. Die Gyre-Stämme selbst hatten ihnen beigebracht, Reiterangriffe zu fürchten, und im Gegensatz zu den Kriegern des Schwarzen Pfads mit ihren Kettenhemden hatten sie nur kleine Schilde aus Weidengeflecht zum Schutz gegen die Pfeile, die immer noch auf sie herabprasselten. Kanin fluchte.
Wain galoppierte heran. Ihr Gesicht war schlammverspritzt, aber die Augen leuchteten.
»Sie haben unsere Flanke bald aufgerollt!«, schrie sie über den Lärm hinweg.
»Reite du bis ans Ende der Linie!«, rief der Titelerbe und deutete nach links. »Sorg dafür, dass die Wilden ihre Stellungen nicht verlassen. Ich halte die rechte Seite.«
Kanin wendete sein Pferd. Hinter ihm wartete seine Leibgarde – ein gutes Dutzend der besten Horin-Gyre-Krieger – stumm und mit steinernen Mienen in Reih und Glied. Igris, ihr Hauptmann, strich seinem Pferd sanft über die Mähne. Seine Blicke waren auf Kanin gerichtet. Hinter der Leibgarde befand sich Kanins kleiner, aber wertvoller Reitertrupp. Die Männer schauten ihn erwartungsvoll an. Sie lechzten nach Blut, und dabei machte es ihnen – wie den meisten Krieger des Schwarzen Pfads, die einem Kampf entgegenfieberten – wenig aus, ob ihr eigenes oder das Blut der Feinde floss. Die Vorsehung würde an diesem Tag viele Menschenleben fordern; jene, die fielen, folgten einem Ruf, dessen Zeitpunkt bereits seit ihrer Geburt feststand.
»Mir nach!«, befahl Kanin, und dann galoppierte er an der Spitze seiner Leute auf
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