Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
geblieben. Er sah die Tarbain auf der Suche nach Beute hin und her rennen. Alles erschien ihm so hässlich, nun, da Aeglyss aufgetaucht war.
»Vermutlich«, murmelte er.
»Brav.« Die Stimme des Na’kyrim triefte vor Sarkasmus. Kanin wollte etwas erwidern, aber Aeglyss hob bereits versöhnlich die Hand.
»Lasst uns nicht streiten«, sagte er. »Wir sind im Sieg vereint. Es wäre eine Schande, diesen Moment zu verderben.«
»Allerdings«, entgegnete Kanin.
»Ich will Euch nun nicht weiter stören«, fuhr Aeglyss fort, »aber vielleicht finden wir mehr Zeit für ein Gespräch, sobald wir nach Anduran zurückgekehrt sind.«
Bei den letzten Worten schwang ein silbriger, besänftigender Tonfall in der Stimme des Na’kyrim mit. Kanin fühlte sich ein wenig benommen und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatte sich Aeglyss mit seiner Kyrinin-Eskorte bereits zum Gehen gewandt.
»Wartet!«, rief Kanin.
»Wir folgen Euch in die Stadt, Titelerbe«, erklärte Aeglyss, ohne sich umzuwenden. »Ich werde Euch dort aufsuchen.«
Der Titelerbe starrte dem Na’kyrim und seinen nichtmenschlichen Begleitern nach.
»Er scheint zu glauben, dass er von jetzt an deine Gunst besitzt«, sagte Wain neben ihm. Es klang beinahe belustigt.
Kanin schüttelte den Kopf. »Der Mann ist wahnsinnig«, murmelte er.
V
Die Gildemeister überbrachten dem Than der Thane Geschenke. In die Große Halle des Mondpalasts von Vaymouth ergoss sich ein steter Strom von Trägern, um Schätze vor Gryvans Thron abzulegen. So war es, seit Haig von Kilkry die Vorherrschaft über die Geschlechter übernommen hatte: Ein Hoch-Than, der siegreich aus der Schlacht heimkehrte, empfing den Tribut der Handwerksgilden zum Dank dafür, dass er den Frieden und damit den Aufschwung des Landes wiederhergestellt hatte.
Am Vortag hatte das gewöhnliche Volk von Vaymouth die Straßen vom Goldenen Tor bis zum Palast gesäumt, um Gryvan oc Haig zu begrüßen und mit Beifall zu überschütten. Der Triumphzug hatte zwei Stunden gedauert, so groß war das Gedränge gewesen und so drängend der Wunsch der Untertanen, den Einmarsch des Heers und die paarweise in Joche gespannten Gefangenen zu sehen. Nun brachten die höheren Kreise von Vaymouth ihre Huldigung dar.
In Anwesenheit des gesamten Hofstaats überreichten die Waffenschmiede goldverzierte Piken und Streitkolben und die Rüstungsschmiede einen Helm aus purem Silber. Die Winzer bedachten ihn mit Krügen bester Taral-Haig-Weine und die Kürschner mit dem Fell eines großen weißen Bären. Jede der sechzehn Gilden zollte ihre Reverenz mit einer erlesenen Gabe, und Gryvan oc Haig nahm jedes Geschenk mit einem liebenswürdigen Nicken und Lächeln entgegen.
Mordyn Jerain, der einen Schritt hinter dem Thron stand, beobachtete die Zeremonie mit unbewegter Miene. Die Schattenhand hatte in den letzten Tagen ebenfalls Geschenke von einigen der Gildemeister erhalten – vor allem von jenen, die ein starkes Interesse an dem nun herrscherlosen Haus Dargannan-Haig hatten. Dargannan war ein junges Than-Geschlecht, ohne Tradition und Geschichte, auf die es in dieser Zeit der Krise zurückgreifen konnte, und Igryn hatte keinen Sohn. Sobald sich die Kunde von seiner Gefangennahme verbreitet hatte, war unter seinen Verwandten der Kampf um die Nachfolge ausgebrochen. Jedes Geschenk war begleitet gewesen von geflüsterten Vorschlägen, wie sich die Stabilität des Hauses wiederherstellen ließe und wer von Igryns weit verzweigter Familie am besten geeignet sei, ihn als Herrscher über die Dargannan-Ländereien zu ersetzen. Bei aller zur Schau gestellten Unterwürfigkeit und Liebenswürdigkeit war nicht zu übersehen, dass der Hochmut der Gildemeister mit jedem Jahr zunahm. In nicht allzu ferner Zukunft, dachte Mordyn, würde man sie daran erinnern müssen, dass immer noch der Hoch-Than die größte Macht in Händen hielt.
Auf den Stufen, die zum Thronpodest hinaufführten, saß ein lebender Beweis für diese Macht. Igryn, der gestürzte Dargannan-Than, war das blinde Zerrbild seines früheren Ichs. Man hatte ihm Haare und Bart gestutzt und frisiert, neue Gewänder besorgt und die leeren Augenhöhlen mit einer schwarzen Seidenbinde bedeckt, um ihn dem Glanz des Hofs anzupassen – aber man ließ ihn auf den kalten Marmorstufen sitzen wie ein Kind oder einen Narren.
Mordyn konnte sich nicht denken, dass die Botschaft von der gebrochenen Macht, die Igryn verkörperte, den Gildemeistern großes Unbehagen verursachte. Mit Recht
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