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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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Thans.« Nie zuvor hatte Orisian ernsthaft geglaubt, dass er sich aufgrund seiner engen Blutsbande mit dem Geschlecht Lannis in irgendeiner Weise von seinen Mitmenschen abhob. Aber vielleicht machte seine Herkunft doch einen Unterschied.
    Der Leibwächter hielt Orisians Blick stand. Dann kniete er nieder und untersuchte das Gras. Orisian schaute zu Ess’yr hinüber. Sie und ihr Bruder verrieten keinerlei Anteilnahme.
    »Wir werden die Familie des toten Jungen suchen«, sagte er zu ihnen. Ess’yr nickte schwach. Er hatte keine Ahnung, was das hieß, außer dass sie seine Worte verstanden hatte.
    »Es waren drei bis vier Leute«, meinte Rothe. »Sie verfolgten den Kleinen, schlugen ihn mit Keulen nieder und durchbohrten ihn mit ihren Speeren. Ist Euch klar, Orisian, dass wir sie möglichst alle töten müssen, wenn sie uns sehen? Das klingt einfacher, als es ist. Aber wenn uns nur einer entwischt, könnte er mit Verstärkung wiederkommen.«
    »Natürlich.« Eine seltsame Kälte schwang in Orisians Stimme mit.
    Rothe stand auf. Er sah Ess’yr und Varryn an, richtete seine Worte jedoch weiterhin an Orisian.
    »Ihr habt nur ein Messer. Die Tarbain, die diesen Mord verübten, sind vermutlich nicht allein unterwegs. Wir brauchen wahrscheinlich Unterstützung.«
    Orisians Blicke wanderten zu den Kyrinin. Beide beobachteten ihn, nicht Rothe.
    »Ess’yr, falls es zu einem Kampf kommt, benötigen wir vielleicht eure Hilfe. Bitte …«
    Varryn antwortete an ihrer Stelle. »Wir haben hier keine Feinde.«
    »Vielleicht nicht. Ich mache euch keinen Vorwurf, wenn ihr nicht mit uns kommen wollt. Aber wenn die Tarbain bis hierher gelangt sind, könnten sie auch weiter vorstoßen. Sie werden ihr Morden nicht auf die Huanin beschränken, sondern auch vor den Kyrinin keinen Halt machen.«
    »Wir kommen«, erklärte Ess’yr. »Wir sollen euch bis zum Rand des Waldes bringen. Noch sind wir nicht dort.«
    Als sie sich den Trittspuren zuwandten, die der Junge und seine Verfolger im Gras hinterlassen hatten, sagte Rothe leise zu Orisian: »Ich bin Euer Leibwächter. Ich habe die Pflicht, Euch zu beschützen. Haltet Euch im Hintergrund, falls es zu einer Feindbegegnung kommt. Wenn Ihr kämpfen müsst, zeigt keine Furcht. Und ergreift auf gar keinen Fall die Flucht! Tarbain sind gefährlich, aber sie sind auch feige. Sie verhalten sich wie Wölfe. Sobald sie merken, dass der Gegner die schärferen Zähne hat, weichen sie zurück. Wenn Ihr einem von ihnen gegenübertretet, zeigt ihm die Zähne! Und lasst uns hoffen, dass Eure Freunde mit ihren Bogen auch umzugehen wissen!«

    Der Junge war nicht weit gekommen. Über einen kleinen Bach, dann weiter unter dem Geäst einer mächtigen Eiche hindurch, die aus irgendeinem Grund von der Axt verschont geblieben war, und quer über eine Lichtung, die im Frühling bestimmt von Blumen übersät war. Nicht weit.
    Sie lagen im feuchten Gras einer spärlich bewaldeten Anhöhe und spähten hinunter auf die nur wenige Schritte entfernte Hütte. Es war die übliche Behausung armer Leute – ein gedrungenes Blockhaus aus Stein und Holz, mit einem kleinen Bretterschuppen daneben. Unter dem vorspringenden Dach hingen Fallen. Dicke Holzklötze türmten sich an einem Hackstock vor dem Schuppen. Orisian hatte das Gefühl, als müsse jeden Augenblick ein kräftiger Mann mit einer Axt ins Freie treten, um sie zu spalten. Ein Köhler oder ein Fallensteller, vielleicht auch ein Imker, der seine Bienenkörbe irgendwo in der Nähe aufgestellt hatte.
    Die gesplitterte Hüttentür hing schief in den Angeln, und die Stimmen, die Orisian vernahm, waren nicht die eines Waldarbeiters und seiner Familie. Es waren die derben, rauen Laute einer unbekannten Sprache. Orisian spürte, wie sich sein Inneres verkrampfte. Über das tote Kind in der Senke gebeugt, hatte er nicht daran gezweifelt, dass er das einzig Richtige tat – ein kurzer Moment der Klarheit, in dem ihm plötzlich alles ganz einfach erschienen war. Doch nun, die Folgen seines Handelns vor Augen, war er nicht mehr so sicher. Rothe hatte natürlich recht. Es wäre klüger gewesen, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Aber er war der Neffe des Thans, und als Angehöriger des Herrschergeschlechts trug er die Verantwortung für die Menschen, die hier lebten. Orisian hatte es geschworen. Der Feind seines Hauses war sein Feind, bis hin zum Tod. Wann sollte dieser Eid gelten, wenn nicht hier und jetzt?
    In diesem Augenblick trat eine Gestalt aus der Hütte. Es war ein

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