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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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habt Ihr denn gedacht?«
    »An alle, die Eure Lauscher so auffangen«, murmelte Mordyn. Er bedauerte seine Frage schon wieder, denn eigentlich war hier nicht der richtige Ort für Erkundigungen dieser Art. Torquentine kannte eher den Klatsch der Marktplätze und das Geflüster der Diebe und Straßenräuber. Mordyn hatte in der Regel andere Mittel, den Lauf größerer Ereignisse zu verfolgen. Diesmal allerdings schienen ihn seine Quellen im Stich zu lassen. Er war es allmählich leid, von ständig neuen Entwicklungen im Glas-Tal überrascht zu werden.
    »Nun, ich habe wenig zu bieten, und das wurde Euch vermutlich längst zugetragen«, sagte Torquentine. »Außerdem klingt es so abenteuerlich, dass die Hälfte davon erlogen sein dürfte. Der Schwarze Pfad herrscht wieder im Tal, aber wohl nur so lange, bis unser geschätzter Hoch-Than sich herablässt, in das Geschehen einzugreifen. Das zumindest ist die Ansicht aller rechtschaffenen Leute. Lheanor hat sich in seinem Wohnturm in Kolkyre verkrochen und beweint seinen toten Sohn. Von Croesan heißt es, er sei tot oder in Gefangenschaft geraten.«
    »Und der Rest von Croesans Familie? Tot?«
    Torquentine zuckte mit den Schultern. Es war eine sehenswerte Geste, die den ganzen Berg ins Wanken brachte.
    »Fast alle. Doch halt, was war das gleich? Den Leichnam von Kennet, dem senilen Alten in Kolglas, fanden sie, nachdem die Waldelfen und die Raben seine Festung gestürmt und niedergebrannt hatten. Aber seine Kinder – ich habe die Namen vergessen – blieben verschwunden.«
    »Orisian und Anyara«, murmelte Mordyn geistesabwesend.
    »Genau. Keine Spur von ihnen. Aber wer kann das schon so genau sagen? Viele der Toten verkohlten bis zur Unkenntlichkeit.«
    Nachdem der Kanzler gegangen war, blieb Torquentine reglos sitzen, die schweißbedeckte Stirn in tiefe Falten gelegt. Schließlich zog er an einer seidenen Schnur, die von der Decke herabhing. Eine Glocke ertönte droben im Haus. Magrayn verließ ihren Posten und kam in den Keller. Er winkte sie näher und legte eine Hand auf ihr von der Fäule zerfressenes Gesicht.
    »Süße Margayn«, sagte er mit einem Lächeln, während sein fetter Finger gefährlich nahe an die Wundränder herankam. Sie erwiderte sein Lächeln.
    »Wirf ein paar Köder aus, mein Täubchen«, sagte er. »Ich muss erfahren, was aus jedem einzelnen Mitglied des Hauses Lannis-Haig geworden ist. Der Kanzler scheint das wissen zu wollen, und die Wissbegier eines Kanzlers weist oft genug den Weg zu einem Goldschatz.«

    Der Kanzler war in Gedanken versunken, als er, dicht gefolgt von seinen Leibwächtern, durch die düsteren Gassen und Passagen heimging. Ein Instinkt tief in seinem Innern, geboren aus den langen Jahren bei Hof, die ihn gelehrt hatten, die Zeichen zu lesen, wisperte ihm zu, dass sich Stürme zusammenbrauten. Die jüngsten Ereignisse trugen etwas unangenehm Wirres und kaum Vorhersehbares in sich. Solche Zeiten des Chaos konnten ein Schmelztiegel für die besten Gelegenheiten sein, aber sie setzten dem Gleichmut fast immer gewaltig zu. Das Haus Lannis-Haig hätte nicht so schnell untergehen dürfen. Und was war mit den Kindern von Kennet nan Lannis Haig geschehen, wenn man sie nicht in Kolglas an der Seite ihres Vaters tot aufgefunden hatte? Es konnte den Lauf der Dinge behindern, wenn irgendwo ein verwaister Adelsspross umherlief und zu retten versuchte, was vom sinkenden Schiff des Hauses Lannis übrig geblieben war. Aewult schaffte es gerade noch, seine Paradetruppen mit stolzgeschwellter Brust in den Krieg zu führen, aber mit einer heiklen Situation wie dieser war er restlos überfordert.
    Mordyn versuchte die Sorgen beiseitezuschieben. Noch ließ sich nichts Genaues sagen. Die Wahrheit würde früh genug ans Licht kommen. Dennoch – die böse Vorahnung, die ihn beschlichen hatte, ließ sich nicht vertreiben. Er sehnte sich danach, in Taras Armen zu liegen, berauscht von ihren vertrauten Reizen. Er beschleunigte seine Schritte und eilte dem Roten Steinpalast entgegen.
    VI
    Der Morgen im Car Criagar war hell, frisch und klar, so ungetrübt blank, als habe noch kein Tag dort droben anders begonnen. Die ganze Nacht hindurch hatten stürmische Winde um die Gipfel gewütet und Schnee über die Felsen gepeitscht. Ihre Wut war noch vor dem Morgengrauen erlahmt, besänftigt durch das Nahen der Sonne.
    Orisian stand auf dem breiten Sims vor dem Eingang zu Yvanes Unterschlupf und spähte über die mit Ruinen bedeckte Landschaft hinweg. An Tagen wie

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