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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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wolle sie Wains Geduld auf die Probe stellen. Irgendwann würde sich die Angelegenheit zuspitzen, aber an diesem Abend blieb Wain friedlich.
    Cannek schob seinen Teller weg, obwohl er noch nicht fertig gegessen hatte. Er trank einen Becher Wein und erhob sich.
    »Ich überlasse die beiden kühnen Damen ihrer angenehmen Plauderei«, verabschiedete er sich mit einem Lächeln. »Meine Arbeit ist heute noch nicht zu Ende. Wir wollen uns die Straße nach Glasbridge vornehmen.«
    Wain runzelte missmutig die Stirn. »Ich habe bereits ein Dutzend Kundschafter in diese Richtung ausgesandt.«
    Cannek zuckte mit den Schultern. »Wir von der Jagd machen uns gern nützlich«, sagte er leichthin. »Es ist sicher nicht in Eurem Sinn, wenn wir hier tatenlos herumsitzen, oder?«
    Als der Jäger-Inkallim gegangen war, legte Shraeve den Hähnchenschenkel beiseite, den sie gerade abgenagt hatte. Mit einer Serviette tupfte sie sich das Fett von den Lippen.
    »Lasst die Jagd nur gewähren«, murmelte sie. »So gut Eure Kundschafter auch sein mögen, Canneks Leute sind besser. Sie würden selbst eine Maus in einem Haferfeld aufspüren.«
    »Und doch können sie mir nicht sagen, was aus Aeglyss geworden ist. Oder wollen sie es mir nicht verraten?«
    Shraeve zuckte gleichgültig mit den Schultern, ohne Wain anzuschauen. Ihre Blicke wanderten müßig über das Menschengedränge in der Schankstube hinweg. Die Gesichter röteten sich, nun, da Wein und Bier flossen, und die Stimmen wurden lauter.
    »Er ist uns allen entwischt«, erklärte die Inkallim. »Die Waldelfen sind fast so gute Späher wie unsere Jäger. Aber spielt das wirklich eine Rolle? Euer Bruder machte deutlich, dass er keine Verwendung mehr für ihn und die Schleiereulen hat.«
    »Es spielt keine große Rolle«, entgegnete Wain mit bewusst ausdrucksloser Stimme. In Wahrheit beunruhigte es sie, dass der Na’kyrim verschwunden war und mit ihm das – wenngleich unsichere – Bündnis, das er im Namen des Hauses Horin-Gyre mit den Schleiereulen geschlossen hatte. Ihr Vater hatte in Aeglyss stets nur den Schlüssel gesehen, der die Tür zu den Gebieten von Lannis-Haig öffnete und dessen man sich entledigen konnte, sobald er seine Schuldigkeit getan hatte. Nun jedoch, da es zum Bruch gekommen war, hegte Wain den Verdacht, dass es besser gewesen wäre, ihn zu töten, anstatt ihn frei umherstreifen zu lassen, außer Sicht und außer Reichweite. Denn er hatte sich zwar als nützlich, aber auch als gefährlich unberechenbar erwiesen.
    »Mich stört nur, dass wir nicht wissen, wo er ist und was er so treibt«, fuhr sie fort. »Ich fände es nicht gut, wenn er unerwartet wieder auftauchen und sich in unsere Angelegenheiten einmischen würde.«
    Shraeve bedachte sie mit ihrem kühlen Lächeln.
    »Der Schwarze Pfad ist vorherbestimmt und kann weder im Guten noch im Bösen beeinflusst werden. Das wisst Ihr ebenso gut wie ich.« Von da an schwieg die Inkallim beharrlich.
    Wain begab sich bald darauf in ihr Zimmer. Der Abend hatte sich in einer Richtung entwickelt, die ihr nicht behagte, aber das bereitete ihr keine großen Sorgen. Der Schwarze Pfad nahm immer seinen eigenen Verlauf und enttäuschte oft genug die Erwartungen derer, die ihm folgten. Dies zu erkennen und hinzunehmen war die eigentliche Grundlage des Glaubens. Und doch … angesichts der verblüffenden Erfolge, die sie in den letzten Wochen errungen hatten, empfand sie seltsamerweise wenig Freude. Die Schatten allzu vieler Beteiligter lasteten auf ihr: Kanin, der sein eigenes, persönliches Schicksal im Car Criagar verfolgte; Aeglyss und die Schleiereulen in völliger Freiheit; die Inkallim, die alles mit kalten Augen beobachteten. Wain war sich nicht mehr sicher, dass dies noch der gleiche Krieg war, den ihr Vater begonnen hatte.

    Auf einer Lichtung tief im Herzen des Waldes, den die Huanin Anlane nannten und der in ihrer eigenen Sprache Antyryn Hyr – Täler der Tausend Bäume – hieß, machte die kleine Gruppe der Schleiereulen-Kyrinin halt. Sie waren zwei Tage und zwei Nächte lang einer der Ersten Fährten gefolgt, die der Lachende Gott in der Urzeit der fünf Rassen hinterlassen hatte. Seit ihrem Aufbruch aus der Stadt im Tal hatten sie weder zum Essen noch zum Schlafen angehalten; unerbittlich waren sie südwärts durch die Wälder ihrer Heimat gelaufen, ohne ihren Schritt je zu verlangsamen.
    Nur eine der treulosen Huanin hatte es geschafft, sich an ihre Fersen zu heften, als sie das Tal verließen. Sie hatten die Frau

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