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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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von wilden Kyrinin, wachsamen Anain oder wölfischen Whreinin.
    Sie hatten ein Land betreten, in dem nur herrenlose Huanin umherstreiften, in dem weder der Blutseid noch die Belange von Lannis und Horin etwas bedeuteten. Stärker denn je, dachte Orisian, sind wir auf die Hilfe unserer nichtmenschlichen Gefährten angewiesen. Wir befinden uns in ihrem Reich.

    Als die Dämmerung zunahm, schlugen sie ein behelfsmäßiges Lager unter den Bäumen auf. Varryn entfachte ein Feuer am Fuß eines schräg abfallenden Felsblocks, bettete Ess’yr dicht bei den wärmenden Flammen auf den Boden und verschwand ohne ein Wort der Erklärung im Wald. Orisian vermutete, dass er sich auf die Suche nach den schmerzlindernden Heilkräutern für seine Schwester begeben hatte.
    In der Nähe des Rastplatzes erhob sich ein großer Ameisenhügel, dessen Bewohner keinerlei Geschäftigkeit zeigten. Yvane nahm einen dünnen Ast und stocherte in den aufgeschichteten Kiefernnadeln herum. Der Anblick weckte eine schmerzhafte Erinnerung in Orisian. Als er das letzte Mal mit Inurian allein gewesen war, hatte der Na’kyrim am Fuß der Burgmauer von Kolglas mit einem langen Stock nach Seeigeln gesucht.
    »Was tut Ihr da?«, fragte er sie, so wie er damals Inurian gefragt hatte.
    »Ich lenke mich von unseren Sorgen ab. Ameisen bieten eine nahrhafte Kost, wenn der Hunger groß genug ist.« Sie lächelte, als er unwillkürlich eine Grimasse schnitt. »Was im Augenblick offenbar noch nicht zutrifft.« Sie legte den Ast beiseite und erhob sich ein wenig steif.
    »Ich habe meine Kräfte schon lange nicht mehr so rücksichtslos beansprucht«, murmelte sie. Ihre Stimme klang ein wenig gereizt, als sei sie verärgert über die eigene Schwäche.
    »Meine Beine gewöhnen sich allmählich an das Laufen«, sagte er.
    »Nun, vielleicht liegt das Ärgste hinter uns«, meinte sie, als sie gemeinsam ans Feuer zurückkehrten. »Wenn wir Glück haben, können wir den Rest des Weges nach Koldihrve etwas gemächlicher zurücklegen.«
    Rothe saß auf einem Stein und starrte in die Flammen. Sein Messer lag griffbereit auf dem Oberschenkel. Orisian empfand einen Moment lang Mitleid. Es musste eine Qual für seinen Leibwächter sein, dass er sein Schwert verloren hatte und ihn nun, wie er glaubte, nicht mehr richtig beschützen konnte. Orisian selbst hatte die Inkallim-Klinge, die ihm zur Verteidigung diente, ebenfalls in der Brust des Verfolgers zurückgelassen.
    Anyara hatte sich an einen Baumstamm gelehnt und war eingenickt. Die aus Fellstücken genähte Jacke hüllte sie wie eine Decke ein. Der Kopf war ihr auf die Brust gesunken, und hin und wieder murmelte sie im Schlaf.
    »Wir brauchen alle ein wenig Erholung«, sagte Yvane leise.
    Orisian streckte sich neben dem Feuer aus. Eigentlich hätte er sich vor den Gefahren der Nacht fürchten müssen, aber offenbar war er zu erschöpft, denn er schlief bald ein, das sanfte Knistern der Flammen im Ohr.
    Mitten in der Nacht schreckte er kurz hoch, weil er gedämpfte Stimmen zu hören glaubte. Das Feuer brannte immer noch und blendete ihn. Ehe ihn jedoch Panik erfassen konnte, erkannte er Rothe und Varryn. Die beiden Krieger saßen im Dunkel und unterhielten sich leise. Ehe Orisian wieder einschlief, kam ihm der Gedanke, dass er soeben Zeuge eines kleinen Wunders geworden war.

    Als sie aufwachten, regnete es. Es war ein trister Morgen. Das Feuer erlosch rasch. Varryn schaufelte mit der Schuhspitze Erde über die Asche und trat sie flach. Der Regen wurde heftiger, als sie durch den Wald ins Tal hinabstiegen, aber er störte sie weniger als der Schneefall und der scharfe Wind der letzten Tage. Sie kamen an einen Bergbach und hielten an, um zu trinken. Da Ess’yr sich nicht niederbeugen konnte, schöpfte Varryn das klare Wasser mit beiden Händen und hielt es ihr an die Lippen. Orisian ahnte, welche Schmerzen ihr jeder Schritt bereitete. Die Wunde an seiner Flanke machte sich auch noch bemerkbar, weniger durch Schmerzen als durch eine besondere Empfindlichkeit des straff gespannten Narbengewebes. Nun, da Ess’yr mit ihrer Verletzung zu kämpfen hatte, kam Orisian erst zu Bewusstsein, wie anmutig sie sich vorher bewegt hatte. Irgendwie erinnerte sie ihn an einen Vogel, der nicht mehr fliegen konnte.
    Gegen Mittag ließ der Regen nach, und sie kamen auf dem flacheren Gelände leichter voran. Schließlich erreichten sie den Talboden, und zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit hatten sie eine Ebene unter den Füßen und vor

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