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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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in der Nähe gewusst, wäre ich ihnen auf den Fersen geblieben.«
    »Igris!«, schrie Kanin und sprang auf. Seine Schüssel kippte um, und die Hafergrütze ergoss sich auf die Decke. Der Hund des Inkallim knurrte.
    Kanins Leibwächter liefen herbei.
    »Wir brauchen einen Boten mit einem schnellen Pferd«, fauchte der Than. »Er soll nach Koldihrve reiten und dem dortigen Stadtoberhaupt Folgendes von mir ausrichten: Ich bin mit Kriegern des Schwarzen Pfads auf dem Weg zu ihm und erwarte, dass er mir die Nachkommen des Hauses Lannis-Haig ausliefert. Tut er es nicht, mache ich seine Stadt dem Erdboden gleich, lasse das Vieh töten und sämtliche Kinder im Fluss ertränken.«
    Igris nickte und wandte sich zum Gehen.
    »Und lass sofort das Lager abbrechen!«, rief Kanin ihm nach. »Ich will, dass wir morgen noch vor Sonnenaufgang in Sichtweite von Koldihrve sind.«
    VI
    Die Mauern, die den Heiligen Bezirk der Barden-Inkall bei Kan Dredar abgrenzten, umschlossen auch einen Wald mit Hunderten alter Kiefern. Dicke Nadelschichten bedeckten den Boden, und nur die stärksten Stürme vermochten den Harzduft aufzuwirbeln, der wie eine schwere Glocke über der Gegend hing. Stille herrschte unter den tiefgrünen Kronen, nur hin und wieder unterbrochen von Vogelgezwitscher oder Glockengeläut, das zum Gebet rief. Die Stadt im Tal – die ausgedehnte Festung des Gyre-Geschlechts – machte sich selten bemerkbar. Nicht einmal die vorwitzigsten Kinder von Kan Dredar hätten sich über den Granitwall dieser Zufluchtsstätte gewagt.
    Hier befand sich Theors Reich und seine Heimat seit frühester Kindheit. Die Erinnerung an seine Eltern war im Lauf der Zeit zu einem Nichts verblasst. Er hatte fünf oder sechs Jahre gezählt – nicht einmal das stand fest, da es keine genauen Aufzeichnungen gab –, als sie ihn für eine Handvoll Silbermünzen bei den Inkallim ablieferten. Viele andere kamen auf die gleiche Weise zur Inkall, und Theor war seinen Eltern, wenn er überhaupt an sie dachte, für ihre Entscheidung dankbar.
    An diesem Tag wanderten weit mehr Leute als gewohnt zwischen den Kiefern des Heiligen Bezirks von Gebäude zu Gebäude. Neben Theors Barden-Inkallim in ihren langen Kutten sah man Angehörige der Krieger-Inkall und die grimmigen Fährtenleser der Jäger-Inkall. Ein solcher Andrang herrschte nur an den wenigen Religionsfesten des Jahres oder, wie jetzt, wenn sich die Inkall-Führer im Großen Rundsaal versammelten. Theor wusste, dass über die Mauern der Zufluchtsstätte lediglich ein schwaches Echo der Unruhen drang, die Kan Dredar erfasst hatten. In der Stadt brodelte es. Gerüchte über große Siege im Süden machten die Runde. Die Leute auf den Straßen und Märkten sprachen von nichts anderem.
    Theor begab sich allein zum Rundsaal. Bei solchen Versammlungen kamen die Inkall-Führer stets ohne ihr Gefolge. Die Eichenportale standen einladend offen. Ein einzelner Diener kehrte den Fliesenboden der großen Halle. Bei Theors Erscheinen schlug der Mann die Augen nieder und huschte nach draußen. Der Saal war schlicht und schmucklos. Kerzen, die auf einem Ständer in der Mitte brannten, verbreiteten einen gelblichen Schein. Drei Stühle standen am Rand des Lichttümpels.
    Nyve von der Krieger-Inkall kam als Nächster. Theors Freund ging leise zu seinem Stuhl. Sie blickten einander nicht an. Avenn trat als Letzte ein. Die Führerin der Jagd war schmal und schlank und um einiges jünger als die beiden Männer. Ihr von glattem schwarzen Haar eingerahmtes Gesicht hatte von einer Kinderkrankheit pockenähnliche Narben zurückbehalten. Als sie ihren Platz eingenommen hatte, schlossen sich die Türen, und die drei Inkall-Führer waren allein.
    »Alles sehen die stets wachsamen Augen des Letzten Gottes«, murmelte Theor.
    »Denn seine Augen sind die Sonne und der Mond«, ergänzten die anderen im Chor.
    »Er sieht mein Herz, und er sieht meine Absichten.«
    »Es gibt nur den einen Schwarzen Pfad.«
    »Nur den Pfad.«
    »Nur den Pfad«, wiederholten Nyve und Avenn.
    Leise Echos von den kahlen Wänden der Halle verstärkten ihre Stimmen.
    »Zehn Männer wurden auf dem Weg durch das Tal der Steine gesehen«, sagte Theor. »Männer vom Geschlecht Horin-Gyre. Einstige Kämpfer, seit Langem im Olon-Tal angesiedelt. Sie hatten ihre Gehöfte im Stich gelassen, um in den Krieg zu ziehen.«
    »Sie waren nicht die Einzigen«, bestätigte Nyve. »Sogar aus Ragnors Garnison hatten sich Leute aufgemacht, die Glaubensfeinde zu besiegen. Drei

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