Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
Than in Kriegszeiten zu regieren. Eigentlich hätte Fariel an seiner Stelle stehen sollen; wäre das Herzfieber nicht ausgebrochen, dann hätte Fariel diese Aufgabe lösen müssen. Das wäre besser für das Geschlecht gewesen.
Er seufzte. Es tat nicht gut, sich mit solchen Gedanken zu quälen.
»Ihr kommt also mit uns auf das Schiff?«, fragte er.
Yvane rümpfte die Nase. Es war eine ungewöhnlich deutliche Geste.
»Scheint mir am vernünftigsten zu sein. Sosehr ich meine Einsamkeit liebe, ich bin nicht dumm. Weder das Tal der Tränen noch der Car Criagar erscheinen mir zur Zeit besonders reizvoll. Ich kann nicht behaupten, dass ich von der Aussicht auf diese Schiffsreise begeistert bin. Ich hatte zwar noch nie mit Leuten von Tal Dyre zu tun, aber nach allem, was ich so höre, könnte ich auf ihre Gesellschaft verzichten.«
»Was werdet Ihr hinterher tun?«
»Meinem gütigen Geschick danken, dass ich da heil herausgekommen bin«, sagte sie achselzuckend. »Inurian verfluchen, weil er dich ausgerechnet zu mir geschickt hat. Vielleicht nach Highfast gehen – wozu er mir immer riet. Inurian bekam, wenn ich es mir recht überlege, am Ende meist seinen Willen.«
»Könnt Ihr die Leute dort nicht … so besuchen wie Hammarn?«, erkundigte sich Orisian. »Wenn es Inurian nur darum ging, dass sie mehr über Aeglyss und seine Rolle in diesem Konflikt erfahren, wäre das doch das Einfachste.«
Yvane lachte. Ihre Blicke wanderten zum Horizont.
»Würde ich auf diese Weise in den Gemächern der Auserwählten auftauchen, würde mir eine Niederlage zuteil, dass mir Hören und Sehen verginge – und das, noch bevor sie herausgefunden hätte, wer da eindringen wollte. Aeglyss’ Abwehr, als ich ihn auszuhorchen versuchte, bleibt mir eine Lehre. Leider sind die Bewohner von Highfast ein wenig empfindlich, wenn es um ihre innersten Bereiche geht. Ungebetene Gäste werden nicht gerade mit offenen Armen empfangen, auch dann nicht, wenn es sich um andere Na’kyrim handelt. Sie haben Angst, Orisian. Das gilt für alle von uns. Dafür habt ihr Reinblütigen im Lauf der Jahrhunderte gesorgt.
Aber selbst wenn ich die Gelegenheit erhielte, mich anzumelden, wäre mein Name nicht unbedingt eine Empfehlung. Sagen wir es so: Wir schieden nicht gerade in Freundschaft, als ich Highfast verließ. Bei Inurian war das natürlich anders. Den liebten sie. Als er ging, begleiteten ihn Segenswünsche und freundliche Worte. Mich dagegen verfluchten sie.«
»Ihr mochtet Inurian nicht besonders, oder?«
»Ha! Diese Frage verrät das kostbare Gut der jugendlichen Unschuld. Leider lässt sich nicht alles auf einen so einfachen Nenner bringen wie Mögen oder Nichtmögen, Liebe oder Hass. Inurian und ich konnten nie entscheiden, auf welcher Seite der Grenze wir standen.«
Unvermittelt vernahmen sie Lärm aus der Richtung von Hammarns Hütte. Beide sprangen auf und fuhren herum. Laute Stimmen waren zu hören, und eine Faust hämmerte gegen Holz. Orisian eilte zur Vorderseite der Kate. Drei Männer standen auf dem Weg, zwei davon Fackelträger, der dritte ein rotgesichtiger Kerl mit einem verbeulten Helm auf dem Kopf und einem Speer in der Hand. Letzterer hatte sich vor Hammarn aufgebaut, der schmal und verloren den Eingang zu versperren versuchte. Aufgeregt trippelte der alte Na’kyrim von einem Fuß auf den anderen.
»So behandelt man keine Gäste«, stammelte Hammarn. »So nicht. In der Dunkelheit gegen Türen poltern!«
Er warf einen Blick zur Hausecke, wo Orisian aufgetaucht war. Der rotgesichtige Mann wandte sich um. Er hatte einen spärlichen Bart, der den Schorf am Kinn kaum verdeckte. Der Blick, mit dem er Orisian bedachte, hatte etwas Verächtliches.
»Wer ist der hier?«, fragte er.
»Ein Gast«, fuhr Hammarn auf, bevor sonst jemand antworten konnte. »Dies ist Ame«, erklärte er Orisian.
Das klang, als verkünde er eine Landplage, und wäre Orisian nicht so erschöpft und besorgt gewesen, hätte er laut gelacht.
»Stellvertreter des Obersten Wächters«, erklärte Ame feierlich. Wenn er gehofft hatte, Orisian mit diesen Worten zu beeindrucken, wurde er enttäuscht.
»Was gibt’s?«, fauchte Rothe über Hammarns Schulter hinweg. Bei dem unvermittelten Auftauchen des hünenhaften Leibwächters aus den Schatten im Innern der Hütte traten die beiden Fackelträger beunruhigt einen Schritt zurück. Selbst Ame wirkte leicht verunsichert, ehe er seine Aufmerksamkeit abermals Orisian zuwandte und mit einem dicken, kurzen Zeigefinger
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