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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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seine Worte langsam und deutlich aus.
    »Das mag die Wahrheit sein oder nicht, Taim Narran. Es spielt keine Rolle. Hört mir genau zu: Ich will, dass diese Mauern erstürmt werden und dass Lannis und Kilkry die Spitze der Angreifer übernehmen. Und hier und jetzt ist mein Wille Gesetz. Ihr gebietet über das Umland von Burg Anduran, und das liegt fern von hier. Ich gebiete über ein Reich, das sich vom Glas bis zu diesen Hügeln erstreckt. Ich bin der Than der Thane, Herrscher über Euren Herrn. Ich verlange, dass jeder Eurer Kämpfer, der aufrecht gehen und ein Schwert zu halten vermag, im Morgengrauen bereitsteht.«
    »Ich habe Eure Worte vernommen, Mylord«, sagte Taim und verneigte sich. Roaric setzte erneut zum Sprechen an. Taim nahm ihn am Arm und führte ihn hinaus. Er mochte Roaric trotz seines jugendlichen Ungestüms und wollte verhindern, dass er den Hoch-Than noch mehr reizte. Sie verließen das Zelt, um ihre Männer zu wecken und auf den neuen Tag zu warten.
    Gryvan warf Kale einen grimmigen Blick zu.
    »Roaric ist ein Narr«, sagte er. »Ein Glück, dass zwischen ihm und dem Thron seines Vaters noch ein anderer steht. Unser Freund Taim Narran scheint mir aus edlerem Holz geschnitzt.«
    Kale hob die Schultern. »Seine Treue gilt einzig und allein Lannis-Haig, Herr. Lasst ihn erdolchen. Ich könnte das so bewerkstelligen, dass später niemand mit dem Finger auf uns zeigt, und sein Tod träfe Croesan empfindlich.«
    »In der Tat«, lachte Gryvan, »aber du lässt dich von deiner Abneigung gegenüber dem Mann in deinem Urteilsvermögen beeinflussen. Meine Schattenhand daheim in Vaymouth würde mir ein solch impulsives Handeln nie verzeihen. Nein, wir müssen nichts überstürzen. Taim wird seine Männer morgen zur Schlachtbank führen, obwohl er in seinem Herzen den Wunsch hegt, mir den Kopf abzuschlagen. Wir sollten dankbar sein, dass die Häuser Lannis und Kilkry die alten Traditionen noch hochhalten. Weil Croesan das Knie vor mir gebeugt hat, wird Taim seinerseits tun, was ich ihm befehle. Anders zu handeln hieße, seine kostbare Ehre zu beflecken.«
    Der Than der Thane rieb sich die Hände. »Diese Kälte könnte eine Bergkiefer spalten. Lass ein Kohlenbecken kommen. Und Brot. Ich muss bei Kräften und bei Laune sein, um die Ereignisse des Morgens voll auskosten zu können.«
    IV
    Orisian erwachte spät aus einem Traum, der ihm entwischte, ehe er ihn festhalten konnte. In jenen ersten verschwommenen Augenblicken des Erwachens hatte er die flüchtige Erinnerung an das Gesicht seines Bruders. Er setzte sich im Bett auf und ließ die Blicke durch das Zimmer wandern. Er hatte es mit Fariel geteilt, als dieser noch lebte. Als die Seuche durch die Gänge und Gemächer der Burg geschlichen war, hatte Fariel hier gelegen: schwitzend, vor sich hin murmelnd, immer wieder aus quälenden Träumen aufschreckend. Während jener furchtbaren Wochen hatte Orisian in Anyaras Zimmer geschlafen, bis auch sie erkrankt war. Danach hatte ihn Ilain mit in die Unterkunft der Kammerzofen genommen.
    Nachdem sein Bruder in ein Laken gehüllt und auf einem Boot mit schwarzen Segeln zur Toteninsel gebracht worden war, hatte sich Orisian monatelang geweigert, in seine Schlafkammer zurückzukehren. Als er endlich den Mut aufgebracht hatte, es doch zu tun, hatte er dort unerwartet Trost gefunden. Er träumte oft von seinem Bruder, und es waren fast immer freundliche Träume. Vom Wesen seiner Mutter Lairis schien ebenfalls etwas im Raum zu schweben, wenngleich Orisian sich an sie in völlig anderer Weise erinnerte als an Fariel. Das Bild seiner Mutter hatte sich im Lauf der Jahre in ein Mosaik aus vielen Einzelheiten verwandelt. Da waren der Geruch ihrer Haare, wenn sie sich über ihn beugte, die Wärme und der Trost, wenn sie seine Hand ergriff, der Klang ihrer Stimme, wenn sie sang. Diese Dinge unterwanderten seine Träume, und es gab Zeiten, da er aufwachte und kaum fassen konnte, dass sie nicht bei ihm war. Das waren einsame Zeiten, die jedoch auf ihre Weise den Schmerz linderten.
    Kaum hatte er den Schlaf abgeschüttelt, als auch schon Ilain mit Wasser und einem Handtuch herbeieilte. Sie begnügte sich mit einem knappen Morgengruß, aber ihre Ansichten zum Thema Langschläfer waren deutlich an ihrer Miene abzulesen. Als sie wieder ging, machte sich Orisian selbst Vorwürfe wegen seiner Faulheit.
    Der Tag verging rasch. Vormittags begleitete er Anyara über den Damm in die Stadt. Sie schlenderten durch das dichte Marktgedränge und

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