Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
von Kale empfangen und in das Beratungszelt geleitet. Die beiden wechselten einen kühlen Blick. Ihm auf den Fersen folgte Roaric nan Kilkry-Haig, der jüngere Sohn von Lheanor, dem Than des Hauses Kilkry. Gryvan, nun in einen Prunkumhang gehüllt, das Schwert quer über den Knien, erwartete sie auf seinem hölzernen Thronsessel, eingerahmt von Schildwachen in prächtigen Parade-Uniformen, die starr geradeaus blickten.
»Eine kalte Nacht zum Pläneschmieden«, begann Gryvan, »aber der Krieg stellt harte Anforderungen an uns alle.«
Taim schwieg. Roaric an seiner Seite trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen.
»Zu kalt für den Austausch von Höflichkeiten, wie ich sehe«, fuhr der Hoch-Than fort. »Also beschränken wir uns auf das Wesentliche. Bei Tagesanbruch wagen wir erneut einen Sturm auf die Festungsmauern. Eure Krieger sollen bei diesem Angriff die Führung übernehmen.«
Taim schlug die Augen nieder und biss die Zähne zusammen. Seine Hand umklammerte den Schwertgriff so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ein schwaches Zucken überlief seine Züge, als er merkte, wie Roaric neben ihm tief Luft holte. Taim wusste nur zu gut, wie schnell Lheanors Sohn die Beherrschung verlor, wenn man ihn reizte. Und in der Tat schwang Ärger in der Stimme des Jüngeren mit, als er das Wort ergriff.
»Mein Vater vertraute mir zweitausend unserer besten Krieger an, als ihn Euer Aufruf zum Krieg erreichte«, sagte Roaric, »und Hunderte von ihnen ließen ihr Leben für Eure Sache. Mehr als ein halbes Tausend starb durch Seuchen, am Fieber oder auf dem Schlachtfeld, und noch einmal so viele sind zu schwach oder zu schwer verwundet, um sich von ihrem Lager zu erheben. In jeder Schlacht und bei jedem Sturmversuch auf die Wälle dieser unbedeutenden Feste müssen Kilkry und Lannis zuvorderst angreifen. Sollen alle meine Männer auf diesen Hügeln fallen? Wann werden einmal die anderen Stämme an der Spitze kämpfen?«
»Wie ich sehe, ist das Streben nach Ruhm bei unseren Brüdern aus dem Norden nicht mehr so ausgeprägt wie einst«, antwortete der Hoch-Than mit ruhiger Stimme.
Roaric setzte zu einer Erwiderung an, aber Gryvan schnitt ihm das Wort ab. »Ihr solltet Eure Worte mit mehr Bedacht wählen, wenn Ihr mit Eurem Hoch-Than sprecht. Es ist lange her, seit Euer Haus das erste unter den Stämmen war. Euer Vater hat mir einen Treueid geleistet, ebenso wie Croesan, der Gebieter Eures Freundes Taim hier. Auch Ihr seid an diesen Eid gebunden. Ihr seid jung, und Eurem Vater zuliebe will ich darüber hinwegsehen, aber Ihr befindet Euch im Unrecht, wenn Ihr von meiner Sache sprecht. Es ist die Sache aller Häuser und aller Thane, einen Mann, der seine Pflichten vernachlässigt, wie es Igryn oc Dargannan-Haig getan hat, hart an die Kandare zu nehmen. Wie soll jemals Ordnung herrschen, wenn wir erst einmal die Zügel schleifen lassen? Oder wollt Ihr das Chaos?«
Röte stieg Roaric in die Wangen, und Zorn blitzte in seinen Augen auf, ehe er sich wieder in der Gewalt hatte. »Es fehlt uns an Kriegsmaschinen, um An Camans Wälle zu zerstören«, erklärte er mit gepresster Stimme.
Gryvan stieß ein kurzes Lachen aus. »Diese Hochfeste ist doch kein Bollwerk, gegen dessen Mauern ganze Heere vergeblich anrennen. Sie wurde errichtet, um Banditen und Räuber abzuschrecken. Ihr habt Sturmleitern und den Mut Eurer Männer: Schlagt eine winzige Bresche, und das Heer wird sich wie eine Flut über die Zinnen ergießen.« Er wandte sich Taim Narran zu. »Und teilt der Hauptmann von Lannis-Haig Eure Ängste?«
Taim schaute auf. Sein Gesicht war von tieferen Falten und dunkleren Schatten geprägt als die jugendlichen Züge von Roaric, und graue Strähnen durchzogen das kurz geschnittene schwarze Haar. Seine Miene verriet nicht, was er dachte. Nur in seinen Augen spiegelte sich eine verhaltene, tief verwurzelte Kraft, mit der er dem Blick den Hoch-Thans ruhig standhielt.
»Weder ich noch meine Männer fürchten den Tod«, sagte er, »obwohl wir gern einen triftigeren Grund hätten, um in die Arme des Dunklen Schlafs zu sinken. Die Vorräte in der Festung reichen kaum noch für einen Monat, und wenn wir einfach abwarteten, kämen sie aus freien Stücken heraus. Igryn selbst ist geschlagen, geflohen in die Berge südlich von hier. Ein halbes Dutzend Kompanien hat sich ihm an die Fersen geheftet. Er gehört Euch, in einem Tag, in einer Woche – und dann verliert die Feste dort oben jegliche Bedeutung.«
Gryvan oc Haig sprach
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