Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
Backen auf. Mit schwerfälligen Bewegungen schlüpfte er in die Stiefel. Das Leder fühlte sich steif und kalt an.
»So – wo ist dieser Bote?«
»Er wartet vor Eurem Beratungszelt.«
»Dann leuchte mir auf dem Weg dorthin!«
Hann nickte, und Gryvan folgte ihm hinaus auf den Berghang.
Den Hoch-Than überlief erneut ein Schauder, als müsse er das Gewicht des Schlafs abschütteln. In jüngeren Jahren war es ihm leichtgefallen, den Schlaf zu vertreiben. Nun, in seinem sechsten Lebensjahrzehnt, schien sich die Müdigkeit immer tiefer in seinen Knochen festzusetzen. Kalte Nächte weit weg von der Behaglichkeit seines Hofs kamen ihn hart an.
Die kleinen Feuer seines Heers glommen an den Felshängen ringsum. Schwach drangen hier und da Stimmen aus den Zelten. Sein Blick wanderte hinauf zu den dunklen Umrissen der belagerten Feste An Caman. Dort oben waren kaum Lichter zu erkennen.
Den Eingang des Beratungszelts flankierten zwei Fackeln in hohen Metallhaltern. Ihre Flammen schlugen im Wind hin und her. Posten standen daneben, stramm und wachsam, obwohl sie schon seit Stunden Dienst taten. Kale, der Gardehauptmann des Hoch-Thans, hatte sich ebenfalls eingefunden, dazu ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann, der wohl der Bote war. Gryvan beachtete die Männer nicht, als er das Zelt betrat und auf einem Holzstuhl mit hoher Lehne Platz nahm.
»So, jetzt hol sie herein!«, befahl er seinem Diener.
Kale, der das Zelt als Erster betrat, wirkte hager im flackernden Licht. Seine Züge hätten aus den Granithügeln von Ayth-Haig gemeißelt sein können. Hinter ihm kam der Bote, ein junger Mann, wie Gryvan jetzt erkennen konnte, vermutlich nicht älter als fünfundzwanzig. Das rote Emblem auf der Brust – ein Schwert und ein Speer, die sich überkreuzten – wies ihn als Söldner des Dornach-Königreichs aus.
Gryvan kratzte sich am Kinn und gähnte. Der Bote stand vor ihm, ein wenig unsicher, wie die hin und her huschenden Blicke verrieten. Kale war wie immer das Muster eines schweigenden Beobachters.
»Du hast mich also aus dem Bett geholt«, sagte Gryvan, »obwohl meine morschen Glieder den Schlaf dringend brauchen. Dein Anliegen muss dringend, deine Botschaft von größter Bedeutung sein. Lass hören, was du zu sagen hast!«
Der Söldner zog kaum merklich den Kopf ein. »Ich bin Jain T’erin, Hauptmann von einhundert Mann aus Dornach. Ich spreche nur für sie, und ich komme ohne Wissen der Dargannan-Krieger, die sich in der Feste aufhalten.«
»Der Dargannan-Haig-Krieger«, verbesserte Gryvan ruhig. »Sie schulden mir immer noch Gehorsam, auch wenn sie das offenbar vergessen haben.«
»Wie Ihr meint. Sie kämpfen aus anderen Gründen als meine Leute und ich. Wir haben die Feste nun drei Wochen lang gegen Euch gehalten und könnten sie weitere drei Wochen halten, aber dieser Kampf erscheint uns sinnlos. Eure Heere im Süden suchen nach dem Than von Dargannan-Haig, und obwohl ihm derzeit der Weg zur Küste abgeschnitten ist, könnte er Euch immer noch über das Meer entkommen. Für Euch wäre es sicher von Vorteil, wenn sich die Männer, die hier lagern, an der Jagd nach dem Than beteiligen könnten. Vielleicht lässt sich eine Vereinbarung treffen, die Euren und unseren Vorstellungen entgegenkommt.«
Gryvan zog die Augenbrauen hoch. »Und woran hattest du gedacht? An einen freien Abzug deiner Leute in die Heimat? Oder willst du deinen Sold lieber aus meiner Hand empfangen als vom Stamm Dargannan-Haig?«
Jain T’erin setzte ein schwaches Lächeln auf. Seine Unsicherheit war mittlerweile so gut wie verflogen.
»Wenn ich Euer Wort habe, dass meine Männer bei dem Unternehmen verschont werden, liefere ich Euch die Feste aus. Danach könnten wir in Eure Dienste treten, falls Ihr das wünscht. Oder in unsere Heimat zurückkehren.«
»Igryn hatte schon immer ein miserables Urteilsvermögen. Offenbar schafft er es nicht einmal, sich Loyalität zu erkaufen.« Gryvans Blicke ruhten kurz auf dem Boten. »Du erscheinst mir reichlich jung als Anführer einer Kriegerschar. Immerhin bist du alt genug, um zu erkennen, wie diese Schlacht ausgehen muss – und alt genug, um den Versuch zu wagen, deine Männer heil von hier wegzubringen. Es erfordert wohl einen gewissen Mut, sich aus der Feste zu schleichen und mit diesem Vorschlag vor mich hinzutreten.«
Der Hoch-Than schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, war seine Miene streng, und er fixierte T’erin mit kaltem Zorn.
»So höre meine Antwort«, sagte Gryvan. »Du
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