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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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stumpf und strähnig auf die Schultern.
    Die Züge des Neuankömmlings verrieten Erregung, als er sich an Inurian wandte, so als hätten die Morgendämmerung, die Flucht und alle die Krieger ringsum eine wilde, grausame Freude in ihm geweckt.
    »Ich heiße Aeglyss«, sagte er.
    Inurian hielt den Blick starr geradeaus gerichtet.
    »Ihr habt mich nicht gespürt, stimmt’s?«, fuhr Aeglyss fort. »Und es gelang Euch nicht, in die Gedanken dieser Inkallim vorzustoßen. Ich war nicht ganz sicher, ob ich ihre Absichten vor Euch abschirmen könnte. Ihr, der große Na’kyrim , der tief ins Innere anderer Menschen einzudringen vermag. Ich versprach den Raben, dass ich es täte. Ich ließ sie ihr kleines Spiel aufführen, aber insgeheim wusste ich nicht, ob es gelänge. Ha, und was sagt Ihr nun? Ich war der Stärkere, oder? Mein Talent erwies sich als das größere.«
    Inurian beachtete ihn immer noch nicht. Aeglyss wirkte nun ein wenig entspannter. Er ließ sich im Sattel zurücksinken und schlang die Zügel lose um die Finger.
    »Wie alt seid Ihr?«, fragte er nach kurzer Pause. Seine Stimme klang jetzt ruhiger, beherrschter.
    »Alt genug, um bereits einigen Leuten Eures Schlags begegnet zu sein«, entgegnete Inurian eisig.
    »Und was versteht Ihr unter Leuten meines Schlags?«
    »Hunde, die sich für Wölfe halten.«
    Diese Worte entlockten Aeglyss ein raues, grausames Lachen.
    »Sie hätten Euch umgebracht, wenn ich nicht gewesen wäre, alter Mann. Die Kinder der Hundert schätzen uns Na’kyrim nicht besonders. Mich dulden sie nur, weil sie wissen, dass ich ihnen helfen kann. Ich habe Euch aus ihren nicht gerade liebevollen Händen gerettet. Daran solltet Ihr denken, wenn wir uns später unterhalten.«
    Er streifte Anyara mit einem abweisenden Blick und stieß seinem Pferd die Stiefel in die Flanken. Es setzte sich mit einem Ruck in Trab, und Aeglyss preschte an die Spitze der Kolonne.
    »Was für ein …«, begann Anyara, schwieg jedoch, als sie spürte, wie sich der Arm ihres Bewachers anspannte. Sie schaute zu Inurian hinüber. Er nickte ihr kurz zu, ehe sich das Pferd, das ihn und seinen Bewacher trug, an ihnen vorbeischob und nach vorn verschwand.

    Sie folgten Pfaden, deren Verlauf Anyara oft nicht ausmachen konnte, da sie sich durch scheinbar undurchdringliches Unterholz schlängelten. Die Inkallim hatten die Pferde in ihre Mitte genommen und schlugen ein scharfes Dauerlauftempo ein. Im Lauf des Vormittags tauchten die Kyrinin wieder auf, verschwommene Gestalten, die zwischen den Stämmen dahinhuschten, ohne dass ein Ast knackte oder das Laub raschelte. Unheimliche Vogelrufe, die nach Anyaras Ansicht nicht von echten Vögeln stammten, durchdrangen den Wald.
    Am frühen Nachmittag, den schrägen Sonnenstrahlen nach zu urteilen, machten sie unvermittelt an einem dicht von Weiden und Erlen gesäumten Waldbach Halt. Anyara und Inurian saßen gegen Felsblöcke gelehnt da, während ihre Bewacher aus dem Bach tranken. Die Krieger, die als Akrobaten aufgetreten waren, tauchten die Köpfe ins Wasser und spülten sich die Farbe aus dem Haar. Anyara musste absurderweise an Dorfweiber denken, die in einem Mühlbach ihre Wäsche wuschen. Schlieren in Bernstein und Rot wirbelten mit der Strömung davon. Dann begann die mühselige Arbeit des Neufärbens. Die Männer und Frauen holten aus Gürteltaschen und Beuteln ein Pulver, das sie mit Wasser zu einer dicken Paste verrührten und sich ins Haar rieben. Nach einer längeren Einwirkzeit hatten alle glänzend schwarze Locken. Anyara wandte die Blicke ab. Die Inkallim, so hieß es, trugen ihr Haar immer schwarz, zu Ehren der Vögel, die einst Rabe, den Gott des Todes, begleitet hatten.
    Einige Kyrinin kamen herbei, setzten sich zu Aeglyss und einer kleinen Gruppe von Inkallim und redeten leise auf sie ein. Anyara hielt unwillkürlich den Atem an. Sie hatte bis jetzt erst ein einziges Mal Kyrinin gesehen, und das waren tote Kyrinin gewesen, aus den Wäldern zur Burg geschleppt von den Kriegern, die ihr Vater ausgesandt hatte, um sie unschädlich zu machen. Die Haut dieser fremdartigen, Furcht einflößenden Gestalten war so farblos, dass sie beinahe durchscheinend wirkte. Die Merkmale, die Inurian von seinen Kyrinin-Vorfahren geerbt hatte, traten hier in ihrer Reinform auf: exakt gleich lange Finger mit weißen Nägeln; Augen von einem stumpfen, verwirrenden Grau; scharfe Gesichtszüge, umrahmt von bleichem Haar, das fast zu leuchten schien. Zwei von ihnen trugen die

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