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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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gestützt. Kummer und Verzweiflung breiteten sich in ihrem Innern aus. Sie war den Tränen nahe, doch sie beherrschte sich eisern. Niemand sollte sie weinen sehen. Die grobe Decke, die man ihr übergeworfen hatte, schützte kaum gegen die zunehmende Kälte. Sie hatte angenommen, die Taubheit in den Fingern und die wund gescheuerten Handgelenke, der harte Boden, das feuchte Gras und das Knarren der Bäume ringsum würden sie wach halten, aber sie war so erschöpft, dass sie binnen kürzester Zeit in einen bleiernen Schlaf fiel.
    Hin und wieder schreckte sie auf und wälzte sich auf die andere Seite, um die Schmerzen im Rücken oder in den Armen zu lindern. Seltsame Geräusche, gefiltert durch den Schleier der Müdigkeit, drangen an ihr Ohr – der klagende Ruf einer Eule, schwere Flügelschläge über den Baumkronen und einmal der Singsang leiser, unverständlicher Stimmen ganz in ihrer Nähe. Als jemand sie mit einem Tritt weckte, noch ehe die Morgendämmerung das Dunkel verwischte, lag die Decke neben ihr, und sie konnte sich kaum bewegen, so steif und wund fühlte sich ihr Körper an. Ihr war, als habe sie eben erst die Augen geschlossen.
    An diesem Morgen zwangen die Inkallim Anyara und Inurian, eine Zeit lang zu Fuß zu gehen. Eine Reiterin zerrte sie an zwei Stricken hinter sich her. Wann immer sie einige Worte zu wechseln versuchten, ruckte sie heftig an ihren Fesseln. Anyara war so schwach wie in den ersten Tagen nach dem Ausbruch des Herzfiebers. Man hatte ihr seit der Gefangennahme auf der Burg nichts außer Wasser zugestanden, und sie fühlte sich benommen. Immer wieder geriet sie ins Stolpern, und gelegentlich kam sie zu Fall. Dann schleifte die Reiterin sie eine kurze Strecke mit und zügelte ihr Pferd erst, wenn Inurian sie mit einem lauten Zuruf zum Anhalten aufforderte.
    Aeglyss kam und ritt eine Weile hinter ihnen her.
    »Habt ihr gut geschlafen?«, erkundigte er sich.
    Inurian straffte die Schultern und ging wortlos weiter. Anyara wandte sich um.
    »Ich habe Hunger«, sagte sie.
    »Natürlich«, entgegnete Aeglyss, aber seine Blicke waren unverwandt auf Inurian gerichtet. »Meine Frage lautete, ob Ihr gut geschlafen habt.«
    Auch jetzt schenkte Inurian ihm keinerlei Beachtung.
    »Ich brauche etwas zu essen«, beharrte Anyara.
    »So schlimm ist Euer Hunger nicht«, sagte der Na’kyrim schließlich. Seine Stimme klang nun weich, getragen und tief, und sie besänftigte Anyara auf ganz seltsame Weise. »Er hat schon nachgelassen. Ein robustes junges Mädchen wie Ihr könnte noch Stunden, ja Tage ohne Essen aushalten. Denkt jetzt nur an Eure Schritte. Lasst Euch von ihrem Rhythmus tragen. Eure Beine bewegen sich kraftvoll. Achtet nicht auf Euren Hunger.«
    Anyara spürte, wie sich ihre Wahrnehmung um einen winzigen Ruck verschob. Aeglyss hatte recht: Das gleichmäßige Auf und Ab ihrer Schritte hatte etwas Beruhigendes. Sie trat jetzt sicherer auf und stolperte nicht mehr. Sie verlor sich im Gefühl des Laufens und hörte alles, was sonst noch gesagt wurde, wie aus weiter Ferne und ohne es richtig zu verstehen.
    »Das sollte eine Weile helfen«, sagte Aeglyss. »Meine Stimme war schon immer eine der besseren Eigenschaften, die ich besitze. Ich kann sehr … überzeugend wirken, aber bei ihr musste ich mich nicht sonderlich anstrengen.«
    »Sie ist erschöpft und vom Hunger geschwächt«, fuhr ihn Inurian an. »Außerdem steht sie unter Schock. Ich bezweifle, dass Ihr solche kindischen Tricks bei jemandem anwenden könntet, der sich im Vollbesitz seiner Kräfte befindet.«
    »Unterschätzt mich nicht! Ich bin stärker, als Ihr denkt. Aber wenigstens öffnet Ihr endlich den Mund. Ich dachte schon, ich müsste weiterhin Selbstgespräche führen.«
    »Was Euch sicher nicht allzu schwer fallen dürfte.«
    »Langsam, langsam, Inurian! Warum streiten wir uns? Wir sind beide Na’kyrim . Leute unserer Art haben genug Feinde. Da müssen wir uns nicht auch noch gegenseitig bekämpfen.«
    »Der Kampf ging nicht von mir aus, und ich möchte lieber nicht daran erinnert werden, dass wir von gleicher Art sind.«
    »Das sind wir aber«, sagte Aeglyss eindringlich, »das sind wir aber. Ich habe Euch das Leben gerettet, oder etwa nicht? Das Mädchen wollten sie lebendig haben, aber Euch hätten sie auf der Stelle umgebracht, wenn ich nicht gewesen wäre. Wir Na’kyrim müssen zusammenhalten, denn von außen erhalten wir keine Hilfe.«
    »Verzeiht, dass ich mich nicht überschwänglich bedanke, aber die Mörder, vor denen

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