Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
war, noch ehe sie den Feind zu Gesicht bekommen hatte, wurde ihm klar, dass dies eine Fehleinschätzung gewesen war.
Schritte waren hinter dem Than zu hören und schreckten ihn aus seinen düsteren Gedanken.
»Ihr solltet Euch nicht unbedingt als Zielscheibe darbieten«, sagte Behomun Tole dar Haig. »Es gibt, wie ich feststellen konnte, Armbrustschützen unter den Feinden.«
Croesan zuckte mit den Schultern. »Im Moment sind sie zu sehr damit beschäftigt, alles in Brand zu stecken.«
Behomun trat neben ihn und spähte eine Weile durch den Rauch über die Dächer hinweg. »Sie werden ihr Handeln bereuen, wenn es regnet und kalt wird.«
»Sie wissen genau, was sie tun«, murmelte Croesan. »Sie haben die Scheunen und viele der Häuser verschont.«
»Ich kam hier herauf, um Euch zu bitten, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Die Stimmung bei Euren Leuten ist gereizt. Eine starke Hand könnte jetzt von Nutzen sein.«
»Ach, auf einmal meine Leute? Wenn Gryvan sie für seine Schlachten im Süden braucht, gehören sie ihm. Aber nun liegt die Verantwortung wieder bei mir.«
Behomun hob die Schultern. Seit Beginn der Belagerung hatte er viel von seiner lässigen Überheblichkeit verloren. »Das wollte ich mit meinen Worten nicht zum Ausdruck bringen«, sagte er leise.
»Vielleicht. Aber das hier wäre nie geschehen, wenn der Hoch-Than nicht immer nur den Süden im Sinn gehabt hätte. Er giert nach den Reichtümern von Tal Dyre und der Freien Küste wie ein Fuchs, dem eine Lämmerweide ins Auge sticht. Als Kilkry herrschte, entsandten die übrigen Geschlechter Kämpfer zum Schutz gegen den Schwarzen Pfad in unser Land. Heute sind es unsere Krieger, die in den Süden befohlen werden. Und das ist das Ergebnis – Rauch von unseren Häusern, der den Himmel verdunkelt.«
»Es hat wenig Sinn, wenn wir beide über Recht und Unrecht dieser Maßnahmen diskutieren, und offen gestanden ist mir auch nicht danach zumute. Meine Familie sitzt hier ebenso in der Falle wie die Eure. Was geschehen ist, lässt sich nicht rückgängig machen.«
»Allerdings«, bestätigte Croesan geistesabwesend.
»Die Stadt war nicht zu halten«, erklärte Behomun, der die Gedanken des Thans erriet. »Wir wären vermutlich alle tot, wenn Ihr versucht hättet, sie zu verteidigen, anstatt Euch auf die Burg zurückzuziehen.«
»Das weiß ich selbst. Aber auch so hat es viel zu viele Tote gegeben.«
»Weitere Flüchtlinge waren in der Burg nicht unterzubringen. Sämtliche Korridore sind mit Familien vollgestopft, und in den Ställen schlafen mehr Menschen als Pferde.«
Croesan nickte. Es mutete seltsam an, dass Gryvans Steward plötzlich keine Spur von Streitlust mehr zeigte.
»Ihr hättet rechtzeitig fliehen können«, sagte er und schaute Behomun in die Augen.
»Das stimmt, aber ich bin als Stellvertreter des Hoch-Thans in diesem Land. Ich kenne meine Pflichten.« Behomun warf einen sehnsüchtigen Blick nach Westen. »Es war vermutlich eine unkluge Entscheidung. Jetzt muss ich darauf vertrauen, dass die Mauern dieser Burg Schutz genug für meine Frau und meine Kinder bieten.«
»Das müssen wir alle«, entgegnete Croesan.
»Es kann nicht mehr lange dauern, bis Verstärkung von Glasbridge und Kolglas eintrifft. Und Lheanor wird Euch von Kolkyre her zu Hilfe eilen. Obwohl die Krieger vom Schwarzen Pfad stets Demut predigen – mit diesem Feldzug haben sie sich übernommen. In der Stadt sind nicht mehr als einige tausend von ihnen. Solange sie Tanwrye nicht erobern und wir der Belagerung standhalten, werden sie nicht weiter in den Süden ziehen.«
»O gewiss, sie werden diesen Krieg verlieren. Aber mein Haus hat bereits einen zu hohen Preis für den Sieg bezahlt.« Ein Schauer lief Croesan über den Rücken, und er schüttelte sich. »Kommt, gehen wir nach unten. Die Erholungspause ist vorbei. Auch ich kenne meine Pflichten.«
Während sie ihren Weg nach Norden fortsetzten, von den Hügeln hinab durch immer dichteren Wald, ertappte sich Anyara dabei, dass sie den Rücken der Inkallim-Kämpferin beobachtete, die vor dem Pferd herging. Sie hätte sich nie im Leben träumen lassen, dass sie einmal einer solchen Frau begegnen würde. In den Schauermärchen ihrer Kindheit hatten die Inkallim – Krieger und Glaubensfanatiker, Henker und Mörder – eine überaus wichtige Rolle gespielt. In Ermangelung von konkretem Wissen waren die wildesten Gerüchte und Mythen entstanden, bis sie in den Köpfen jener, die südlich des Tals der Steine
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