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Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)

Titel: Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Ruckley
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bekommst du das dritte Kin’thyn . Für das Feuer des Feindes.«
    Während des gesamten Berichtes hatte Varryn ihn mit starrer, ausdrucksloser Miene beobachtet. Orisian hätte sich am liebsten abgewandt. Stattdessen fragte er: »Wie könnt ihr das Tal nach Anlane so leicht überwinden? Ohne dass wir, unser Haus, euch bemerken?«
    Die Frage war an Ess’yr gerichtet, da Orisian angenommen hatte, dass ihr Bruder seine Worte nicht verstünde, aber Varryn erhob sich und schob seine Schale beiseite, obwohl sie noch zur Hälfte mit dampfendem Eintopf gefüllt war.
    »Huanin wissen nicht«, sagte er. Er wandte sich zum Gehen, hielt aber nach wenigen Schritten noch einmal inne und wandte sich halb um. »Augen und Ohren dick und langsam. Wie Beine und Füße.«
    Orisian starrte dem Kyrinin nach, bis er verschwunden war.
    »Varryn mag Huanin nicht besonders«, erklärte Ess’yr.
    Orisian nickte. »Das Gefühl habe ich auch. Du scheinst freundlicher über uns zu denken.«
    »Ich liebe deine Rasse nicht. Aber Inurian spricht gut von euch. Von dir.«
    Orisian hatte Varryn im Nu vergessen. Hier war endlich ein Riss in dem Schild, den Ess’yr errichtet hatte, um Fragen abzuwehren, die ihm auf der Zunge brannten.
    »Du kennst ihn? Inurian, meine ich. Hat er eure Lager besucht?«
    »Ich sah ihn, zusammen mit dem großen Mann, und ich kannte dich. Ich sah dich früher, vor drei Sommern, mit Inurian in einem Boot. Nahe dem Ufer. Du hast mich nicht gesehen. Aber er wusste, dass ich da war. Er hat ein Zeichen gemacht.«
    »Wir landeten nie am Fuß des Car Anagais«, entgegnete Orisian und überlegte rasch, wie er Ess’yrs Bereitschaft zum Reden am besten nutzen konnte. »Ich hatte immer den Wunsch, ihn in die Wälder zu begleiten. Ich wusste, dass er eure Lager besuchte, und ich wäre gern mitgekommen. Aber das wollte er nicht.«
    Ess’yr schaute ihm in die Augen. »Was zieht dich zu uns? Huanin meiden unsere Vo’ans .«
    »Ich weiß, dass viele aus meinem Volk die Kyrinin nicht mögen. Ich glaube, sie haben Angst vor euch, aber bei mir war das nie so. Ich … ich wollte einfach sehen, wie es in euren Lagern zugeht. Wie ihr lebt. Es ist schwer zu erklären, aber in jüngster Zeit hatte ich oft den Wunsch … anderswo zu sein als immer nur daheim. Etwas anderes erleben, etwas Neues. Vielleicht wollte ich auch wissen, woher Inurian kommt und wohin ihn seine Wanderungen führten.«
    »Er bedeutet dir viel.«
    »Ja. Er war in den letzten paar Jahren ein guter Freund für mich.«
    Ess’yr schob sich eine Strähne aus dem Gesicht. Die Geste war so beiläufig, so belanglos, dass sie Orisian einen leuchtenden Moment lang fesselte und die Welt jenseits dieser zarten Hand und ihrer lässigen Bewegung vergessen ließ. Ein paar Atemzüge lang saß Ess’yr da, ohne sich zu rühren. Dann stand sie auf, als habe sie einen Entschluss gefasst.
    »Komm. Ich zeige dir alles. Vielleicht will es Inurian so.«
    Sie führte ihn aus dem Vo’an hinaus. Während er ihr schweigend folgte, dachte er, dass Rothe die Gelegenheit wahrscheinlich genutzt hätte, um Ess’yr zu überwältigen und zu fliehen. Orisian selbst zog diese Möglichkeit keinen Wimpernschlag lang in Erwägung. Zum einen bezweifelte er, dass er die Kyrinin-Frau besiegen konnte, zum anderen wollte er Rothe nicht allein im Lager zurücklassen. Außerdem hatte er das Gefühl, dass er in Ess’yrs Schuld stand. Er wäre vermutlich gestorben, wenn sie ihn nicht gefunden und hierher gebracht hätte.
    Das Gelände wurde zunehmend flacher. Der sumpfige, mit Moos bedeckte Boden gab unter Orisians Füßen nach. Vor ihnen ragte ein dichtes Weidengehölz auf. Das Glucksen von fließendem Wasser drang ihm ans Ohr. Ess’yr blieb vor den Weiden stehen. Einige kleine Vögel, aufgescheucht durch ihr Kommen, flatterten tiefer in das Wäldchen. Orisian wollte etwas sagen, doch sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. Die Berührung war leichter als ein Lufthauch.
    »Atme sanft«, sagte sie. »Sprich leise. Du bist an einem fremden Ort. Man beobachtet dich.«
    Orisian wartete auf Ess’yrs Erklärung.
    »Das hier ist ein Dyn Hane . Eine Totenstätte. Der Verstorbene kommt in die Erde, mit einem Weidenstab in den Händen. Wenn der Stab austreibt, begibt sich der Geist nach Darlankyn . Wenn nicht, bleibt er. Dann gehört er zu den Kar’hane , den Wächtern.«
    Orisian spähte nach vorn und entdeckte zwischen den dicht gedrängten gekrümmten Weidenstämmen und -ästen einige dürre Stecken –

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