Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Erstaunen lag darin, aber dann nickte sie und lenkte mit einem schwungvollen Bogen den Wagen auf den Parkplatz. Sie stiegen aus. Leonie steuerte auf die Bank zu und setzte sich. Die Sonne blitzte immer häufiger zwischen den Wolken hervor und warf die Landschaft abwechselnd in ein strahlendes und ein graues Licht. Leonie blickte zu Anke, die, eine Hand schützend über die Augen gelegt, die Aussicht genoss, die gerade mal wieder im Sonnenlicht erstrahlte.
„ Wunderschön, wirklich wunderschön, dieses strotzende Gebäude da unten.“
„ Das ist das Kloster Kalvarienberg“, erklärte Leonie mit einer besonderen Schwingung in der Stimme. „Dort“, fuhr Leonie fort, „bin ich zur Schule gegangen.“ Sie stand auf, überquerte mit zwei Schritten den schmalen Feldweg bis zum Weinhang. Anke folgte ihr. Leonie drehte sich langsam zur Bank um und erklärte leise mit belegter Stimme. „Die Bank da ist mein Lieblingsplatz. Für Sekunden tanzten Bilder von Dirk vor ihrem geistigen Auge, die sie mit einem leichten Kopfschütteln verscheuchte. „Dort könnte ich stundenlang sitzen und einfach nur die Aussicht aufsaugen. Ich habe sie schon in zig Varianten gemalt.“
„ Ja, ich erinnere mich, ich habe einige bei dir gesehen.“
In Leonies Augen blitzte so etwas wie Stolz auf, als sie fortfuhr, Anke die Gegend zu veranschaulichen. „ Der Weinhang hier vor uns, der zunächst mäßig aber dann steil ins Tal fällt, ist ein Teil des Pfaffenbergs. Direkt darunter weiter unten der Kräuterberg. Er gehört auch zu unserem Weingut .“ Nun machte sie eine ausladende Handbewegung. „Das alles dort rechts vor uns ist Alte Lay und weiter rechts Domlay. Im Tal dort unten links siehst du die Lage Himmelchen .“ Leonie drehte sich zur anderen Seite. „Und das alles noch auf der Seite gehört zur Weinlage Pfaffenberg. Ein Großteil davon ist schon ewig in unserem Besitz. Aber dieser ganze Teil hier hinter uns“, sie drehte sich und zeigte wieder auf den Hang, den sie zu Anfang erwähnt hatte, „gehört erst seit der Heirat meiner Eltern zum Rosskamp'schen Weingut.“ Beiläufig erwähnte sie noch. „Das habe ich irgendwann einmal erfahren“.
„ Du bist gerne Winzerin, oder?“, erkundigte sich Anke.
Leonie schaute sie für einen Moment perplex an. „Nein, eigentlich nicht, das heißt, ich weiß es einfach nicht.“ Versonnen blickte sie auf den Rebstock vor ihr. „ Es ist Knochenarbeit, pro Hektar 1000 bis 1200 Arbeitsstunden, und wir besitzen 12,8 Hektar. Früher waren es siebzehn Arbeitsgänge. Heute wegen des Qualitätsmanagements mittlerweile vierundzwanzig Arbeitsgänge, auch im Winter. Wir schneiden, binden, düngen, streuen, spritzen, ernten ...“
Aber du hast doch sicher Helfer, Mitarbeiter, Erntehelfer?“, wollte Anke wissen.
Leonie lachte amüsiert. „Klar, ich habe Thomas und wie die meisten Winzer noch einen weiteren festen Mitarbeiter, der im Weinberg arbeitet. Sie lachte erneut auf. „Und zur Erntezeit holen wir die Polen, das denkst du doch?“
„ Nicht ...?“
„ Doch, doch“, bestätigte Leonie. „Zu uns kommen immer die gleichen, schon seit Jahren und das mit der gesamten Familie. Die meisten Winzer haben ihre festen Polen.“
„ Vielleicht“, sagte Anke, „kann ich dir bei der nächsten Ernte helfen, fände ich aufregend. Ich würde mir sogar ein paar Tage dafür freinehmen.“
Leonie amüsierte sich aufs Neue. „Vertu dich nicht, das ist kein Kinderspiel. Weißt du“, sagte Leonie nun etwas betrübt, „es ist schon komisch. Wir versuchen auch, übers Arbeitsamt arbeitslose Deutsche als Erntehelfer anzuheuern. Aber die, die uns dann gemeldet werden, erscheinen erst gar nicht oder gehen nach zwei Tagen nach Hause, weil die Arbeit zu schwer ist, ihnen in den steilen Lagen schwindelig wird oder Ähnliches. So holen wir die Polen und die Polen holen für ihre landwirtschaftliche Ernte die Russen, die sind dann wieder billiger als die Polen.“
„Das wusste ich gar nicht“, erwiderte Anke nachdenklich.
„ Irgendein Winzer hat es erzählt, und ich habe es aufgeschnappt, als ich mich noch im Rücken meines Vaters bewegte.“
„ Und all die Weinberge sind Eigentum der Winzer?“
Leonie schüttelte den Kopf. „Der Hauptanteil ist Eigentum, aber es gibt auch Weinberge, die von anderen Winzern gepachtet sind, zum Beispiel, wenn ein Winzer keine Nachkommen hat. Und es gibt hier noch an die 900 Nebenerwerbswinzer, die in der Genossenschaft sind.“ Leonie sah besorgt zum Himmel. Über
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