Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Nachbartisch. Hatte der Mann ihr zugenickt? Rasch wandte sie ihren Blick wieder Anke zu. „ Oh, Entschuldigung“, sagte diese plötzlich und zog ihr vibrierendes Handy aus der Hosentasche, stand auf und entfernte sich zum Ausgang Terrasse. Leonie hoffte, dass Anke draußen Verbindung bekam, denn der Empfang hier oben war schlecht bis teilweise nicht vorhanden. Leonie sah ihr nach, dabei verfing sich ihr Blick mit dem des Mannes. Seine Augen begegneten ihren mit beinahe unheimlicher Intensität. Blödmann dachte sie genervt und war froh, dass Frau Senge in dem Moment das Essen brachte. Anke erschien wieder. „Das war mein Mann, ich habe ihm verklickert, was passiert ist. Er kommt mich später holen“, erklärte sie und setzte sich.
„ Guten Appetit“, wünschte Leonie.
„ Also willst du hier bleiben und das Weingut führen“, meinte Anke halb kauend.
„ Wenn Thomas freikommt“, Leonie schluckte den Bissen herunter, „dann wird er mir dabei helfen. Ich bin sicher, dass er es nicht war. Sie werden ihn freilassen müssen.“
„ Hast du einen Verdacht, Leonie, wer deinen Vater“, Anke machte eine Geste, „ich weiß nicht, wie ich ihn sonst nennen soll, umgebracht haben könnte.“
„ Er kannte Gott und die Welt, und umgekehrt. Ich habe keine Ahnung und auch nicht warum? Beliebt war er nicht, aber deswegen gleich umgebracht zu werden, ich weiß nicht? Sie werden den Mörder schon finden. Viel mehr interessiert mich, wo ich herstamme.“
„ Dann forschen wir doch erst einmal in diese Richtung und das andere überlassen wir der Polizei“, schlug Anke vor. „Es sei denn, ich stoße auf etwas.“ Sie lächelte entschuldigend. „Dann kann ich es nämlich nicht mehr lassen.“
Leonie sah den Mann am Nachbartisch mit der Kellnerin sprechen und dabei zu ihr hinüber nicken. Dann stand er auf und kam an ihren Tisch. Die beiden Frauen sahen überrascht zu ihm auf. Er war hochgewachsen und schlank, trug eine dunkelbraune abgewetzte Cordhose, ein schwarzes Hemd und eine dunkelbraune alte Lederjacke. Leonie musste verhalten schmunzeln über ihr innerliches Bild von ihm. Sie konnte ihn sich gut als einen in die Jahre gekommenen Backpacker an irgendeinem Straßenrand irgendwo auf der Welt vorstellen. Sein Gesicht war so vergerbt wie seine Lederjacke. Er lächelte Leonie herzlich an. „Ich suche Herbert Rosskamp, dachte“, er sah sich zur Unterstreichung seiner Worte suchend um, „ich würde ihm über kurz oder lang hier begegnen.“ Leonie holte Luft. Er knickte kurz den Oberkörper ein, „darf ich mich vorstellen, ich bin Johannes Rosskamp, und du musst Leonie sein, meine Nichte.“
Ihr schoss das Blut in den Kopf. Johannes Rosskamp deutete nochmals eine knappe Verbeugung an. „Darf ich dir meine Bewunderung aussprechen, du bist sehr hübsch geworden. Ich gratuliere meinem Bruder zu so einer Tochter.“
Leonie sah ihn an, als verstünde sie nicht recht, ehe sie zu Anke schaute, die Johannes Rosskamp fasziniert und ungläubig anstarrte. Automatisch hielt Leonie ihre Hand seiner entgegen. Er griff sie sanft und führte sie dezent an seine Lippen. Mit einem belustigenden Funkeln in seinen Augen deutete er einen Handkuss an. Hastig zog Leonie ihre Hand zurück.
„ Darf ich mich setzen?“, fragte Johannes. Sekunden später saß er am Eckplatz des Tisches zwischen den beiden Frauen, die noch immer keine Worte fanden.
„ Mensch, Mensch“, begann Johannes Rosskamp. „Hier hat sich ja viel verändert. Ich dachte im ersten Moment, ich träume“, er ließ seinen Kopf kreisen, „aber es ist fantastisch geworden.“
Leonie sah ihn noch immer sprachlos an, erkannte keine Ähnlichkeit mit seinem Bruder. Ihr war klar, dass sie bald etwas sagen musste. „Ich, ich habe“, begann sie zögernd, „mal ein paar Karten von Ihnen, ich meine, von dir, gelesen, die auf Vaters Schreibtisch lagen. Aber das ist lange her.“ Wusste er wirklich nichts von der Ermordung? Wieso tauchte ihr Onkel, der, wenn Vater nicht ihr Vater war, auch nicht ihr Onkel sein würde, nach so langer Zeit ausgerechnet jetzt auf? Ein Zufall? Oder hatte er womöglich etwas mit Vaters Tod zu tun? Bei dem Gedanken erschauderte sie und schaute zu Anke, die Johannes Rosskamp unter hochgezogenen Augenbrauen musterte.
„Ich glaube, ich ziehe mich jetzt lieber zurück“, sagte sie unvermittelt.
„ Oh, nein, das möchte ich nicht“, wandte Leonie sofort ein. Ihr Blick schwenkte zwischen Anke und Johannes. „Das ist übrigens Anke Contoli, eine
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