Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
abzuholen.
Leonie saß hinter dem Beifahrersitz. Teilnahmslos blickte sie durchs Seitenfenster und registrierte die vorbeigleitenden Felder zu ihrer rechten, weiter hinten die Kirche von Karweiler und einige Häuserumrisse. Der Kirchturm ließ ihre Gedanken zu Onkel Lennart wandern. Sie fragte sich, was er sagen würde, wenn er von der Ermordung seines Freundes erfuhr? Ihre Gedanken glitten zurück zu dem Moment, wie Vater im Weinverkauf vor ihr gestanden hatte. Sein Geständnis war wie ein Schlag vor den Kopf gewesen. Nun war er tot und sie frei. Und im Grunde genommen konnte es doch egal sein, ob er ihr Vater gewesen war oder nicht, redete sie sich ein. Doch die brennende Frage nach dem › wer ist es dann ?‹, ließ nicht lange auf sich warten. Unvermittelt schlugen ihre Gedanken einen Haken zu der im Smart folgenden Journalistin. Tut sie das alles aus reiner Menschenfreundlichkeit? Hat sie wirklich Interesse an mir? Oder lediglich an meiner außergewöhnlichen Gabe? Oder an beides? Oder treibt ihr Job als Journalistin sie an? Leonie stöhnte nach diesen Fragen innerlich auf. Hauptsache es stand ihr jemand zur Seite. Diese Gedankenverbindung lenkte sie zu Thomas Broll. Als die beiden Polizisten ihr gesagt hatten, was mit ihrem Vater passiert war, hatte ihr erster Impuls Thomas gegolten. Jedoch hatte sie die Möglichkeit einer Täterschaft sogleich verworfen. Jetzt musste sie wiederum darüber nachdenken, an den Streit, an die Feindseligkeit, die in seinem Gesicht zu lesen gewesen war. Sie zuckte regelrecht zusammen, als die Stimme des vor ihr sitzenden Beamten per Funk darum bat, das Tor zu öffnen. Sie waren an der Polizeiinspektion Bad Neuenahr angekommen. Leonie drehte sich um und blickte sofort durch das Heckfenster. Sie sah, wie der Smart auf den Parkplatz des Wohn-Kauf-Haus Franke fuhr. Würde Anke Contoli dort so lange auf sie warten?
„ Münch, Kriminalhauptkommissar, guten Tag Frau Rosskamp. Erinnern Sie sich noch an mich? Damals waren sie ein junges Mädchen.“ Leonie sah ihn an. Erwiderte leise seinen Gruß und zeigte mit keiner Geste, dass sie ihn schon beim Betreten des Zimmers erkannt hatte. Gefasst folgte sie seiner Handbewegung und nahm auf dem Stuhl platz. Schweigend sah sie zu, wie Münch langsam um den Tisch herum ging, sie dabei über ihre Rechte und Pflichten als Zeugin belehrte und sich ihr gegenübersetzte. Es folgte eine wirkungsvolle Pause. Leonie bemühte sich, ihre Nervosität zu verbergen und dachte daran, dass sie ihn schon damals nicht gemocht hatte.
„ Sie sind eine wichtige Zeugin“, begann Münch, „erzählen Sie mir, was seit Samstag passiert ist.“ Damit lehnte er sich zurück und blickte sie erwartungsvoll an.
„ Bitte ...“, erwiderte Leonie, anstatt seine Frage zu beantworten, „sagen Sie mir, was genau ist mit meinem Vater geschehen?“ Hatte er sie wirklich erstaunt angesehen? Ein Räuspern, dann setzte er sich wieder gerade. In knappen Worten begann er, sie über den vermutlichen Tathergang aufzuklären. Leonie fühlte sich dabei in der Weise von ihm beobachtet, als lauere er auf eine verräterische Reaktion. Verdächtigte Münch sie etwa? Nach seiner kargen Schilderung kam er umgehend auf seine Frage zurück. Leonies Gedanken rotierten. Wo sollte sie anfangen? Hatte Münch schon mit Thomas gesprochen? Wo war er? Wenn sie doch nur mit ihm reden könnte?
„ Ich höre ...“, erinnerte sie Münch.
Wenn sie erzählte, wie würde dieser Mann die Dinge und Sachverhalte kombinieren? Sie begann, wesentlich entschärft die Situation im Weinverkauf zu schildern, danach sei sie auf ihr Zimmer gegangen und habe es erst Montagmorgen wieder verlassen, um in Bonn eine Freundin zu besuchen. Münch stützte seinen Kopf in die linke Hand und rieb sich mit der anderen nachdenklich die Stirn. „ Wenn ich so über Ihre Schilderung nachdenke, sagen Sie damit aus, dass es keinen handfesten Streit gegeben hat. Und die zerbrochene Fensterscheibe erwähnen Sie nicht einmal, von der Sie wahrscheinlich, genau wie Ihr Freund Thomas Broll, wohl auch nicht wissen, wie diese zu Bruch gegangen ist?“
Also hatte er schon mit Thomas gesprochen, dachte Leonie. Münch erhob sich. „Was haben Sie zu verbergen, Frau Rosskamp? Sie brauchen auf Ihren Freund keine Rücksicht mehr zu nehmen, der wird sowieso morgen dem Haftrichter vorgeführt. Und von Ihrer Aussage hängt es jetzt ab, ob das für Sie ebenfalls zutreffen könnte.“
Leonie wurde blass.
„ Hat er gestanden?“
Münch
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