Winzertochter (Contoli-Heinzgen-Krimi)
allem, was sie für ihn fühlte, mehr, als sie bisher geahnt hatte. Wieso so plötzlich, fragte ihr Inneres? Sicher, Dinge können sich ändern. Und wieso sollte sie einen Menschen, den sie vorher nicht bewusst ›gesehen‹ hatte, nach jahrelanger Gewohnheit nicht plötzlich interessant finden? Wenn es diese Wandlung nicht gäbe, könnte man sagen, dass alles was ist, endgültig ist, was wiederum heißen würde, dass sich nichts mehr bewegt, nichts mehr weiter entwickelt. Sie hatte ihre wahren Gefühle für ihn nicht bemerkt. Sie nicht an sich herankommen lassen, denn sie war viel zu beschäftigt gewesen mit Dirk, mit ihrer Not Vater gegenüber und mit einer möglichen Flucht, dass das Nächstliegende im Nebel geblieben war. Ihr Herz fühlte sich auf einmal beschwingt an, fast fröhlich. Leider währte es vor dem trüben Hintergrund nicht lange. Das wischte die eben noch wahrgenommenen Gefühle für Thomas Broll fort. Kurze Zeit später glaubte sie, diese gar nicht wirklich gehabt zu haben. Er wurde wieder zum Freund, dem sie in seiner schlimmen Situation helfen musste, so wie er das auch für sie tun würde.
Anke schien sie bereits gesehen zu haben, denn sie kam ihr entgegen. Ehe sie etwas fragen oder sagen konnte, schoss es aus Leonie heraus. „ Thomas ist in Not. Er hat meinen Vater nicht umgebracht, aber die Polizei glaubt das. Die scheinen selbst mich zu verdächtigen.“ Leonie schluchzte auf. Sie spürte Ankes Hand an ihrem Ellenbogen und ließ sich von ihrer neuen Freundin zum Auto führen.
„ Jetzt fahren wir erst mal heim, damit du dich ausruhen kannst.“
„ Oh Gott “ , stöhnte Leonie auf. „Das Weingut, was wird mit dem Weingut ohne Thomas?“
„ Wenn er es nicht war“, erklärte Anke kategorisch, „wird man ihn freilassen müssen und den wahren Mörder suchen, und wenn wir es selbst machen.“
Leonie blieb abrupt stehen. „Meinst du das ernst?“
„ Klar.“ Anke nickte und lächelte breit. „Ich bin doch spezialisiert auf Mordfälle. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich einen auf gedeckt hätte.“
„ Hui“, entfuhr es Leonie.
„ Ich wollte mal zur Kripo, aber das hat leider nicht geklappt. Nun mache ich es halt auf diese Art, und das ist manchmal noch besser.“ Sie erreichten den Wagen. Leonie sagte nichts, als Anke sich automatisch hinters Steuer setzte. „ Nebenbei bemerkt“, bot Anke an, während sie den Wagen startete, sollten wir bis auf die anfänglichen üblichen Versprecher jetzt auch beim Du bleiben . “ Leonie musste trotz ihrer Traurigkeit lächeln. Anke lenkte den Wagen vom Parkplatz in die Wilhelmstraße. „Welche Richtung“, fragte sie rasch. „Ich habe nur eine ungefähre Ahnung.“
„ Nach links“, antwortete Leonie zeitgleich mit dem Hupton des Wagens hinter ihnen. Anke warf rasch einen Blick in den Rückspiegel. „Assi“, murmelte sie. Leonie schmunzelte. Die Journalistin, dachte sie, hat so viel Power und sprüht vor Leben. Wie würde ihr eigenes Leben nun werden? Dirk hatte sie verloren. Thomas würde aller Wahrscheinlichkeit nach in Untersuchungshaft kommen. Onkel Lennart war in Trier, weit weg und übermäßig beschäftigt. Aber die Tür zu ihrem neuen Leben stand offen. Sie musste nur noch hindurchgehen.
Ihre Gedanken eilten schon voraus, hinauf in die Weinberge, hinauf zu ihrem Zuhause. Sie fühlte eine unerwartete Angst in sich aufsteigen. Dieses Zuhause wollte sie mit einem Mal nicht mehr verlieren, auch wenn sie tatsächlich nicht die Tochter des Weingutsbesitzers war. Der Wunsch, von dort zu fliehen, der sie vor nicht langer Zeit beherrscht hatte, war durch seinen Tod wie weggeblasen.
Der Smart kämpfte si ch die Serpentinen hinauf. Leonie sah aus den Augenwinkeln zu Anke. Die Journalistin hatte bisher geschwiegen. Wahrscheinlich, dachte Leonie, war sie wie sie selbst in Gedanken versunken. Sie hatten den Parkplatz › Bunte Kuh ‹ fast passiert, doch Leonie hatte es sich nicht verkneifen können, einen raschen Blick nach links durchs hintere Seitenfenster auf ›ihre‹ Bank zu werfen. Zuerst spürte sie den Stich, gleich darauf folgte die Wut über Dirks Verhalten. Die Schmerzen in der Brust zogen sich zurück. Das kurze Schwächegefühl verschwand. Sie schloss die Augen und löste sich, zufrieden mit dem Test, vom Anblick der Bank. Intuitiv hatte sie nur wissen wollen, was sie in ihr auslösen würde. In der nächsten Sekunde, für sie selbst überraschend, bat sie Anke, anzuhalten. Anke warf ihr einen Seitenblick zu. Ein leichtes
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