Wir Ausgebrannten
aus der unverschuldeten Übermüdung in den Zustand der gewohnten Verfügbarkeit zurückgekehrt zu sein.
Ach, nicht mehr weiterzuwissen, ach, Zweifel zu spüren an dem, was man täglich tut und was mit einem gemacht wird – was für eine wunderbare Gabe ist das doch! Sie ist eine der besten Eigenschaften, die der Mensch besitzt, und vermutlich eine der gesündesten dazu. »Eine Erkenntnis, zu der ich mich beglückwünschen könnte«, schreibt Sibylle Berg in ihrer Kolumne auf Spiegel online und fügt hinzu, dass die Depression ja wohl der natürliche Geisteszustand des Menschen sei.
Wenn wir in den allgemeinen Optimierungswahn einstimmen sollen, dann möchten wir unsererseits dazu aufrufen, den Selbstzweifel zu optimieren. Was soll uns daran hindern zu sagen: »Der Job, den ich ausübe, ist ein elender Kompromiss, ich wollte eigentlich Naturlyriker werden?« Und weil ich im Grunde meines Herzens eine ziemlich große Distanz zu diesem Beruf habe, kompensiere ich diese Distanz, indem ich bis tief in die Nacht vor meinem Schreibtisch hocke – bis mein trauriges, erschöpftes Gesicht sich in der dunklen Fensterscheibe spiegelt. Ich habe Zweifel, ob das, was ich für meinen Arbeitgeber leiste, ausreichend ist. Meine Reaktion darauf: Ich arbeite möglichst viel, um etwaige qualitative Lücken durch Quantität aufzufüllen. Stattdessen könnte ich auch sagen: Der Posten, auf dem ich sitze, überfordert mich derart, dass ich mit dem Gedanken spiele, mich freiwillig ein bisschen degradieren zu lassen. Ich bin bereit, auf Geld zu verzichten, und nehme dafür eine Tätigkeit an, bei der ich meine volle Arbeitskraft einbringen kann, aber ohne ein Gefühl der Leere nach Hause gehe, weil ich alles geschafft habe, was ich wollte.
Natürlich ist das Wunschdenken. Kein Mensch wird ohne Weiteres eine hierarchische Herabstufung in Kauf nehmen, dafür spielt das Hierarchische in unserer Geschäftswelt eine viel zu große Rolle. Manchmal reicht es aber auch, sich die Alternative vor Augen zu führen, um zu wissen: Es gibt einen anderen Ausweg, ich kann das, woran ich leide, auch drangeben, wenn es gar nicht mehr geht. Wer die zunehmende Sinnlosigkeit seiner Arbeit erkennt und eingesteht, muss dann natürlich zum nächsten Schritt übergehen: entweder er schmeißt alles hin oder er versucht sich in Sinnstiftung.
Aber wie zum Teufel bekomme ich es hin, mein Leben mit Sinn zu füllen? Wie gelingt es mir, mich von meinem Drang zu distanzieren, das eigene Leben stets mit denen der anderen zu vergleichen, die scheinbar mehr aus sich gemacht haben? Vielleicht indem man sich vor Augen führt, dass es nun einmal immer Lebensentwürfe gibt, die uns gelungener, eleganter, abenteuerlicher und erotischer erscheinen. Der eine Kollege hat die attraktivere Frau, die begabteren Kinder, sein Haus befindet sich in einer günstigeren Lage. Und dann ließe sich in einem zweiten Schritt überlegen, ob man sich früher, als man noch nicht unter der Knute des Arbeitslebens stand, auch ständig mit anderen verglichen hat. Vermutlich wird man zu dem Ergebnis kommen, dass man sich in freieren Jahren reichlich wenig um die Lebensentwürfe anderer geschert hat. Man hatte seinen eigenen Weg vor sich, den man für richtig hielt und der es nicht nötig hatte, an anderen gemessen zu werden. Erst als man einiges hinter sich hatte, Familie, Karriere und einen satten Lebensabschnitt, begann die Qual des Abgleichens. Man hat den Sinn der eigenen Lebenswelt verloren und sucht sich nun Sinnanleihen bei anderen. Aber wie soll das funktionieren? Schließlich sind Lebensmodelle und deren Sinnhaftigkeit nicht übertragbar.
Experten und Freunde der gesellschaftlichen Analyse reden gerne davon, dass unsere Sinnressourcen erschöpft seien. Das gelte für unsere individuellen Potenziale an Sinnhaftigkeit genauso wie für die Sinnstiftungen der Politik. Es steckt die sonderbare Vorstellung dahinter, dass unsere Gesellschaft oder Teile von ihr Sinn gebunkert hätten wie eine alternative Währung für den Fall des Euro-Crashs. Aber muss Sinnhaftigkeit nicht immer neu geschaffen werden und geht es letzten Endes nicht nur in der Gemeinschaft? Es ist jedenfalls eher unwahrscheinlich, dass sich Sinn durch ein tetesept-Sinnenbad durch die Poren einsaugen lässt. Er kommt auch nicht zu uns, indem wir Grenzerfahrungen wie Schlafentzug in der Burnout-Klinik machen oder auf kohlehydratefreies Essen setzen. Angebote an Sinn gibt es immer noch genug, man kann die Religionen zu Hilfe nehmen
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