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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilmar Klute
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gelobt und belohnt werden. Andererseits sind die Verhältnisse nicht so, dass wir Lob und Liebe in dem Maß bekommen, wie wir sie brauchen. An allen Fronten müssen wir tätig und effektiv sein. Wir stehen in der Pflicht, uns Tag für Tag in Beruf und Privatleben zu beweisen. Gleichzeitig rutscht uns aber unsere Empathie den Bach runter. Für wirkliche Freundschaften haben wir nur noch wenig Zeit, was wir zu brauchen vermeinen, holen wir uns aus den sozialen Angeboten des Internets, eine Palette, die groß erscheint, letztlich aber dazu dient, uns eher unzufrieden zurückzulassen. Das mag auch daran liegen, dass unsere Fähigkeiten im Hinblick auf größere Freundeskreise eher eingeschränkt sind. Anthropologen behaupten ja, der Mensch sei ursprünglich in der Lage gewesen, Kontakte zu kaum mehr als 100 Menschen zu unterhalten. Mehr konnte er geistig, seelisch und sozial nicht verarbeiten. Mit der Herausbildung der ersten mächtigen Staaten hatte man es plötzlich mit 100 000 Leuten zu tun, eine Menge, der man den Begriff »Menschheit« gab. Wie sollte man nun wiederum mit denen verfahren? Diese Art von Freundschaftsüberforderung kennen wir heute vor allem aus den sozialen Netzwerken, die übrigens auch das Phänomen des Aussteigers hervorrufen. Menschen, die ihren Facebook-Account löschen, werden immer zahlreicher, und die Reaktionen auf diese virtuellen Abschiede klingen oft so, als habe ein besonders verzweifelter Mensch sich das Leben genommen.
    Also müssen wir uns letzten Endes auf uns selbst besinnen und gehen dabei erbarmungslos in die Falle unseres eigenen Ichs. Denn für respektive gegen das, was in uns vorgeht, haben wir keinen vernünftigen Plan. Wir beginnen an unserem Lebensplan zu zweifeln und erkennen in diesem schönen Vorgang sofort eine böse Krankheit. Wir wissen, dass irgendetwas nicht stimmt, aber wir haben keine Ahnung, was es genau sein könnte: »Das Unbehagen«, schreibt der Soziologe Alain Ehrenberg, »ist zunehmend zu einem Merkmal unserer Lebensweisen geworden.« Und das Schöne ist: Es gibt einen Markt und eine Öffentlichkeit, die uns mit diesen Leiden freudig empfangen. Unser Unbehagen hat einen gesellschaftlichen Wert bekommen, es ist gewissermaßen eine handelbare Marke geworden, handelbar im wirtschaftlichen wie im sozialen Sinn. Wer ausgebrannt ist, kann sich einer breiten Aufmerksamkeit sicher sein. Es reicht schon, die Symptome zu schildern, den unerträglichen Leistungsdruck für die seelische Schieflage verantwortlich zu machen, und schon steht man als Held pars pro toto da – als Denkmal des unbekannten Ausgebrannten, dem so viele Leistungsträger in diesem Land ihre trockenen Kränze vor die Füße legen können. Die Erschöpfung ist heute nur dann etwas wert, wenn sie das Gütesiegel des Pathologischen hat. Der Zweifel an uns selbst, an unserem Tun und an unserer Rolle im Großen und Ganzen ist nichts weniger als der Beginn einer individuellen Krankheit, in deren Verlauf wir uns individuell bemitleiden, individuell therapieren und individuell bewundern lassen müssen. Der Egotrip Burnout führt uns durch viele Instanzen, in denen wir in unserer ausgestellten Hilflosigkeit ganz persönlich bestätigt werden. Während im 19. Jahrhundert, als sich Psychologie und Neurologie verschwisterten und einen ersten Bewegungscharakter unter dem Namen Neurasthenie annahmen, die Depression eher die Ausnahme war, ist sie heute die Regel. Sie besitzt einen sozialen Status. Zu einer ausgeformten Persönlichkeit gehört inzwischen zwingend eine Geschichte der seelischen Deformierung – schlechte Kindheit, üble Ehe, Bindungsängste und was nicht alles. Und wenn man endlich den Status Burnout erreicht hat, werden all diese individuellen Deformierungen abgerufen und in den Zusammenhang mit der eigenen Ausbrennung gestellt. Miriam Meckels Buch ist ein schönes Beispiel dafür, wie man Verletzungen und Katastrophen des Lebens in den Kontext seiner augenblicklichen Verfassung stellt. Ein Mensch, der einerseits durch schlimme Erfahrungen vorgeprägt und sensibilisiert ist, muss ja irgendwann zusammenbrechen. Und dann muss er in persönlichen Gesprächen und Therapien wieder ins Lot gebracht werden. Die anderen, denen es ähnlich geht, werden auf Distanz gehalten. Mal ein Ausflug ins Dorf, mal eine gemeinsame Gesprächstherapie. Aber letzten Endes geht der Burnout-Held ganz alleine durch die Aventiure seines Leidens, schließlich muss er hinterher ja auch etwas vorweisen: die Leistung nämlich,

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