Wir beide, irgendwann
auseinandergefaltetes Blatt Papier aus meinem Rucksack. Emma nimmt es mir aus der Hand, dreht es um und liest die Namen. Am liebsten würde ich ihr vorschlagen, die Liste einfach zu vergessen. Sollte sich das, was ich über David erfahren habe, nämlich als richtig erweisen, dann finden wir womöglich noch so manches heraus, was wir eigentlich gar nicht wissen sollen.
Emma stößt einen missbilligenden Laut aus und gibt mir das Blatt zurück. »Warum hast du Kyle Simpson da draufgeschrieben?«
»Warum nicht?«, gebe ich mit einem Lachen zurück. »Mit dem warst du immerhin mal zusammen.«
»Mit der Knalltüte? Na gut, aber nur kurz. Ich habe jedoch überhaupt kein Interesse daran, etwas über seine Zukunft zu erfahren.«
»Wahrscheinlich wird der Kerl mal Stripper oder gründet eine Nudistenkolonie oder …«
»Stopp!« Emma wirft mir einen Stift zu und sagt: »Wenn du wirklich willst, dass wir uns über Leute informieren, dann streich seinen Namen durch.«
Ich streiche ihn durch, wohl wissend, dass wir vielleicht alle Namen durchstreichen sollten. Doch wenn ich ihr das vorschlage, wird sie ahnen, dass ich etwas vor ihr verbergen will.
»Ich hab nie verstanden, wie Menschen so schnell von Kandidaten zu Knalltüten werden können«, entgegne ich. »Jedenfalls hoffe ich, dass kein Mädchen, mit dem ich mal zusammen war, von mir so denkt.«
»Bestimmt nicht«, sagt Emma. »Aber ich habe Kyle eigentlich nie besonders gemocht, ehe er mich gefragt hat. Plötzlich war er einfach da. So wie bei dir das Mädchen aus Seattle.«
Als ich aus den Osterferien nach Hause kam, habe ich Emma viel von dem Mädchen aus Seattle erzählt. Ich habe ihr ein Schulfoto von ihr gezeigt, auf dessen Rückseite sie mit lila Tinte ihre Telefonnummer notiert hatte. Ich tat es, weil sie wirklich hübsch war, aber auch, um Emma eifersüchtig zu machen.
»Das ist doch was ganz anderes«, erwidere ich. »Eine Fernbeziehung ist das eine, aber jeden Tag mit jemand zusammen zu sein, den man eigentlich nicht mag … ist das nicht schrecklich? Ich meine, da ist es doch viel besser, sich in jemand zu verlieben, den man von Anfang an gemocht hat.«
»Du magst Sydney also?«, fragt Emma.
Ich werfe einen Blick auf unser Haus. Das Telefon liegt immer noch still auf dem Fensterbrett des Badezimmers. Am liebsten würde ich antworten: Natürlich mag ich Sydney! Sie ist unglaublich hübsch und hat für alle ein freundliches Wort übrig. Aber mich bis über beide Ohren in sie zu verlieben? Denn das müsste doch wohl passieren, oder etwa nicht?
»Wir beide sind da eben verschieden«, sagt Emma. »Du suchst immer nach einer dauerhaften Beziehung und bleibst so lange mit jemand zusammen, bis du genau weißt, dass es nicht die Richtige ist. Deshalb glaube ich auch nicht, dass du die Beziehung zu dem Mädchen aus Seattle beendet hast. Du hast immer nur positiv über sie geredet, also hättest du niemals selbst mit ihr Schluss gemacht.«
Emma wirft mir ein sanftes Lächeln zu, in dem kein Vorwurf liegt.
»Und du suchst nach etwas anderem?«, frage ich.
»Als Freund macht dich das sehr wertvoll, aber das heißt auch, dass dir oft das Herz gebrochen wird.« Emma nickt in Richtung der Liste, die ich in der Hand halte. »Ich denke, wir sollten lieber keine Erkundigungen zu diesen Leuten einziehen.«
Ich reiße das Blatt in der Mitte durch. »Das denke ich auch.«
»Gott sein Dank!«, stößt Emma aus. »Wir werden uns also nicht über Kellan informieren … und auch nicht über Tyson … oder irgendjemand sonst.«
»Weder über meinen Bruder noch über meine Eltern«, füge ich hinzu. »Denn was ist, wenn zwischen jetzt und der Zukunft irgendwelche schlimmen Dinge geschehen? Wenn wir dann nicht herausbekommen, was genau passieren wird, dann würde uns dieses Wissen doch in den Wahnsinn treiben.«
»Und manche Leute«, erwidert Emma, »scheinen gar keine eigene Seite zu haben. So wie Kevin Storm. Am Ende denken wir noch, dass jemand gestorben ist, nur weil wir ihn nicht bei Facebook finden.«
»Neue Regel!«, sage ich. »Wenn plötzlich irgendjemand auf unserer Webseite auftaucht, ist das okay. Aber wir gehen nicht bewusst auf die Suche. Wir graben nicht in der Vergangenheit, die in der Zukunft liegt.«
Emma lächelt. »Alles klar. Wir lassen die Zukunft Zukunft sein.«
In diesem Moment dringt ein leises Geräusch an mein Ohr. Es kommt durch das Fenster. Ist das etwa …?
Mein Telefon klingelt!
Emma zeigt zur Tür. »Geh nur, Romeo. Aber beeil dich,
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