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Wir beide, irgendwann

Wir beide, irgendwann

Titel: Wir beide, irgendwann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Asher
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gekommen?«, fragt Dad.
    Ich wusste, dass das passieren würde. Als Emma und ich endlich an der Schule ankamen, waren wir schon zehn Minuten über der Zeit. Ich hatte gehofft, die Schule würde eine Nachricht auf unserem Anrufbeantworter hinterlassen. Dann hätte ich sie löschen können, bevor meine Eltern nach Hause kommen. Doch offenbar hat die Schule auch die Nummer ihres Arbeitsplatzes.
    »Dad und ich geben dir viel Freiraum«, fährt meine Mutter fort. »Wir zwingen dich nicht, den Bus zu nehmen, aber wir erwarten, dass du rechtzeitig zum Unterricht erscheinst.«
    »Wir wissen, dass du nicht verschlafen hast«, sagt mein Vater. »Als wir aus dem Haus gegangen sind, kam laute Musik aus deinem Zimmer.«
    »Ich bin mit Emma gefahren«, entgegne ich. »Wir haben die Zeit aus den Augen verloren. Wird nicht wieder vorkommen.«
    Dads Finger trommeln auf die Tischplatte. »Hast du vergessen, auf die Uhr zu schauen?«
    »Wie kann man denn die Zeit aus den Augen verlieren?«, fragt Mom. »War Emma etwa bei dir im Schlafzimmer?«
    Darum geht’s also. Als David auszog, hat er mich gewarnt, dass Mom und Dad in Bezug auf ihre Söhne eine Heidenangst vor dem anderen Geschlecht haben. Was ihn angeht, hätten sie sich anscheinend mehr vor demselben Geschlecht sorgen sollen.
    »Sie war nicht bei mir im Schlafzimmer«, antworte ich, was zumindest nicht völlig gelogen ist. Als Emma mich in meiner weißen Unterhose erblickt hat, ist sie ja lachend auf der Schwelle stehen geblieben.
    »Warst du in ihrem Schlafzimmer?«, fragt meine Mutter.
    Als hätte ich ihnen jemals Anlass zu solchen Fragen gegeben. Doch anscheinend soll ich ihnen jetzt über jede Kleinigkeit Rechenschaft ablegen. »Ich bin kein kleiner Junge mehr, falls ihr das noch nicht bemerkt haben solltet. Ich kann sogar schon allein über die Straße gehen.«
    »Gerade deshalb«, sagt mein Vater. »Als du noch ein Kind warst, haben wir euch beieinander übernachten lassen. Der Unterschied besteht darin, dass du eben kein Kind mehr bist.«
    »Du bist jetzt ein Teenager«, sagt Mom.
    »Wer hätte das gedacht«, entgegne ich.
    Dad beugt sich vor. »Warum seid ihr beide zu spät zur Schule gekommen?«
    Ich lehne mich glucksend auf meinem Stuhl zurück. »Ihr wollt wissen, ob wir Sex hatten, richtig?«
    »Danach habe ich nicht gefragt«, antwortet Dad mit belegter Stimme.
    Mom legt die Hand auf ihre Brust. »Hattet ihr?«
    Ich stehe auf und schwinge mir meinen Rucksack über die Schulter. »Nein, wir hatten keinen Sex. Und ich erzähle euch das nur deshalb, damit ihr keinen Herzinfarkt bekommt. Ihr braucht euch nicht die abenteuerlichsten Gedanken zu machen, bloß weil ich ein paar Minuten zu spät zur Schule gekommen bin.«
    »David kam nie zu spät zur Schule«, entgegnet mein Vater.
    »Und warum«, frage ich mit anschwellender Stimme, »hat er sich wohl ein College ausgesucht, das über zweitausend Meilen von Lake Forest entfernt ist?«
    Mom und Dad sehen sich sprachlos an. Da es nichts mehr zu sagen gibt, schnappe ich mir mein Skateboard und verlasse den Raum.
    ➜
    Der Mann mit dem weißen Papierhütchen gibt mir eine Waffel mit zwei Kugeln Rocky Road, Schokoladeneis mit Nüssen und Marshmallows. Während ich mit einer Hand das Eis halte, werfe ich mit der anderen einen Vierteldollar in die Trinkgelddose und stecke mir das übrige Wechselgeld in die Tasche. Ich setze mich auf eine Holzbank und lecke das Eis um die Waffel herum ab.
    Mir graut ein bisschen vor dem Wiedersehen mit meinen Eltern. Obwohl sie Davids Namen ins Spiel gebracht haben, hätte ich nicht andeuten sollen, dass er nach Seattle gezogen ist, um möglichst weit weg von ihnen zu sein. Ich weiß nicht einmal, ob das stimmt.
    Auf der anderen Seite der vierspurigen Straße ist ein kleines Shoppingcenter mit einer Comic-Buchhandlung, einem Friseur und einem Plattenladen. In diesem Moment biegt ein weißes Cabrio auf den Parkplatz ein.
    Das ist Sydneys Auto! Sie blickt in den Rückspiegel und bindet ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, während sich das Dach automatisch schließt.
    In einer meiner Taschen befindet sich der abgerissene Zettel, auf dem Sydneys Telefonnummer steht. Ihr Handy ist jetzt wahrscheinlich in ihrem Auto. In meiner anderen Tasche sind genug Münzen für einen Anruf. Neben der Bank steht ein Münztelefon.
    Ach, das ist doch lächerlich!
    Ich wische mir mit dem Handrücken über die Lippen. Wenn ich Sydney jetzt anrufe und ihr sage, dass ich sie gerade sehe, hält sie mich bestimmt

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