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Wir - die Unsterblichen

Wir - die Unsterblichen

Titel: Wir - die Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Darlton
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auflösten.
    Dann war meine Mutter mit Anne an der Reihe. Auch sie verschwanden vor meinen Augen, als hätte es sie nie gegeben.
    Ohne daß ich es wollte, bewegten sich meine Beine. Die beiden Kinder klammerten sich an mich fest, aber sie konnten mich nicht aufhalten und an dem hindern, was ich gar nicht zu tun beabsichtigte.
    Ich überschritt die Schwelle des Käfigs, und was dann folgte, war wie ein irrer Traum. War es ein Film, der mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit vor mir ablief, oder war ich es selbst, der an der Zeit vorbeigerissen wurde …?
    Ich wußte es nicht.
    Kaleidoskopartig wechselten die Eindrücke:
    Eben noch war ich in der Steinzeit, in stinkende Felle gekleidet, und versuchte, mit einem Stein einen zuckenden Bartwels garzuklopfen, als ich schon an einem primitiven Webstuhl saß und spürte, wie mir die harten Flachsfäden in die Finger schnitten. Eben noch hatten mich vier Negersklaven eine endlose Treppe zum Gipfel eines Zigurrahs geschleppt, wo ich, bräutlich geschmückt, Marduch als nächtliche Geliebte geweiht werden sollte, da ging ich auch schon, eine Amphore auf dem Kopf, über die Agora in Athen.
    Römer, Germanen, Franzosen, Deutsche, Italiener.
    Mittelalter, Reformation, Neuzeit.
    Einen Augenblick sah ich mich selbst als Kind – seltsames Paradoxon! –, um im nächsten Augenblick in einem Raumschiff nach Epsilon Eridani III zu reisen, wo ich von meinem Verlobten erwartet wurde.
    Und dann kam das Ende des Films, von einer Sekunde zur anderen, so als hätte mich die Zeit einfach ausgespien. In schwindelnder Höhe stand ich auf einem riesigen Plateau. Es war, als bestünde die Welt aus Etagen, auf deren oberster ich mich nun aufhielt.
    Ich begriff die Zeit als einen Turm, dessen Spitze ich erreicht hatte.
    Ich war zeitlos geworden.
    Dabei stand ich keineswegs im leeren Nichts. Rings um mich dehnte sich eine paradiesische Landschaft, in der Ferne von hohen Gebirgen eingeschlossen. Ein zartblauer Himmel überspannte sie, und in der klaren Tiefe schwammen rosarote Wölkchen.
    Ein breiter Strom rollte majestätisch von den fernen Bergen genau auf mich zu. Bloß … er erreichte mich nicht. Knapp am Rande des Turmes, auf dessen Höhe ich stand, stürzte er als gigantischer Wasserfall in die Tiefe.
    Wasserfall?
    Nein, als Regenbogen, als irrsinnig in allen Farben schillernder Regenbogen stürzte er vom Rand des Paradieses hinab in die unendlichen Tiefen der Wirklichkeit, deren Grund nicht einmal meine Phantasie auszuloten vermochte.
    Jetzt sah ich auch, daß ich nicht allein war.
    Vater und Mutter waren da, und die Kinder.
    Aber auch noch zwei Menschen, die ich nicht kannte. Eng umschlungen standen sie am Rand des Plateaus und starrten verzückt in die Tiefe.
    Plötzlich war mir, als wollte die Sonne untergehen. Ein Schatten schwang über den Himmel, und hinter den fernen Bergen quoll es wie grünes Gewölk empor.
    Das Entsetzen – es war wieder da!
    Es war auch kein Gewölk, das ich aufsteigen sah. Grüne Gallerte begann den Himmel zu überziehen, bis sie das letzte Stückchen Blau, das letzte Rosenwölkchen in namenloser Gier verschlungen hatte.
    Ein Gesicht begann sich in der grünen Gallerte zu formen, ein hämisches und böses Gesicht, das genauso hämische und böse Gedanken in mein Gehirn schickte. Gedanken, die mich erschreckten …
    »Ihr Nichtse, ihr Tropfen im Strom der Zeit … zurück mit euch! Zurück dorthin, woher ihr kamt …! Hinab, hinab …!«
    Der Mann und die Frau, die am Rande des Plateaus standen, begannen zu zerfließen. Es war, als bräche der Schweiß aus ihren Poren, zuerst nur Tropfen, dann mehr und mehr. Sie schrumpfen zusammen, während das Wasser wie aus einem Schwamm aus ihnen herausquoll.
    Die Tropfen hüpften, wenn sie den Boden berührten, so wie auf einer heißen Herdplatte. Sie liefen hin und her, bis sie schließlich über den Rand des Plateaus sprangen und im Regenbogenwasserfall verschwanden, um mit ihm in die Tiefe zu stürzen.
    In diesem Augenblick hatte ich eine Vision:
    Ich sah mich als Kind in der elterlichen Wohnung. Es war der 6. Dezember, und heute sollte der heilige Nikolaus kommen, um mir meine Geschenke zu bringen. Nun hat aber der Nikolaus in meiner Heimat einen schlimmen Begleiter: den Krampus. Dieser üble Geselle in Teufelsgestalt, so ging die Fama, sollte die bösen Kinder mit in die Hölle nehmen. Zwar hatten meine Eltern mir versichert, ich brauchte keine Furcht zu haben, wenn ich ein reines Gewissen hätte – aber welches Kind

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