Wir - die Unsterblichen
verstand. Sie glichen akustischen Symbolgruppen, wie ich sie schon von einem Computer gehört hatte.
Seine Augen sahen jetzt Achims Vater an.
»Wäre es nicht an der Zeit, Junge, sie aufzuklären?«
Ich blieb stehen, bis ich die Hand meines zukünftigen Schwiegervaters auf meiner Schulter spürte.
»Hör gut zu, Annette, und sei tapfer. Du sollst das Geheimnis unserer Familie erfahren, denn du wirst bald zu ihr gehören. Der Stammvater unseres Geschlechts brachte aus Byzanz ein Lebenselixier mit. Da jedoch auf unserer Welt nichts vollkommen ist, besaß es einige bedauerliche Nachteile. Es ermöglichte zwar eine Lebensverlängerung des Gehirns, nicht aber des Körpers, auf dessen Kosten die Prozedur geht. Dies hier ist das erste Zimmer, ein Übergangsstadium, das lediglich zur Vorbereitung für die Anwendung des Elixiers dient. Du stehst vor meinem Vater, Annette.«
Ich wußte es längst, aber es dauerte endlose Sekunden, ehe ich stammeln konnte:
»Und … aber warum …?«
In den Augen der lebenden Mumie leuchtete es auf.
»Sie fragt warum? Gute Frage … Verstand … Frisches Blut. Adel?«
Allmählich gewöhnte ich mich an das Traumhafte meines Erlebnisses.
»Nein. Aber eine Seitenlinie.«
»Gut, sehr gut. Wir brauchen frisches Blut. Man sieht es an mir.«
Ich starrte ihn wortlos an, und er fuhr fort:
»Mein Vater … frischer. Kein Vergleich zu mir …«
Langsam stieg Begreifen in mir auf.
»Ihr Vater …? Er lebt noch?«
»Ja. Nebenan. Ich höre ihn oft bellen.«
Meine mühsam gewahrte Haltung begann zu bröckeln.
»Komm noch näher, mein Kind. Ich bin müde. Gib mir einen Kuß auf die Stirn …«
In seinen Augen stand ein verzweifeltes Flehen. Obwohl mich Übelkeit würgte, zwang mich irgend etwas, mich über ihn zu neigen und seine Stirn zu küssen. Sie war nicht kalt, wie ich erwartete, sondern lebenswarm. Er hatte die Augen geschlossen, und auf seinem Antlitz erkannte ich das Lächeln unsäglicher Erleichterung.
Stumm führte mich Achims Vater in den nächsten Raum. Er war ebenfalls rund, aber von flackernden Farbblitzen erhellt. In seiner Mitte stand ein großes Gitterbett, und in diesem Bett lag ein grüner Hund.
Jedenfalls glaubte ich im ersten Moment, es sei ein Hund.
Ein riesiger Computer, dessen Signalleuchten das flackernde Farblicht erzeugte, schloß das Bett von drei Seiten ein. An den Wänden, bis zur Decke hochgezogen, reihte sich Regal an Regal, durch Laufschienen mit dem Computer verbunden. In den Regalen häuften sich Lochkarten, die in stetem Strom von und zum Computer wanderten, in ewiger Bewegung, ruhelos und scheinbar sinnlos.
Dann stand ich vor dem Bett.
Es war kein Hund, wie ich zuerst geglaubt hatte, sondern ein Mensch, dessen Körper sich zurückentwickelte. Arme und Beine waren verstümmelt, regelrecht in den eingeschrumpften Körper zurückgewachsen. Nur noch der Kopf wies eine entfernte Menschenähnlichkeit auf. Der ganze Körper war mit grünen Schimmelfäden bedeckt, die im Licht der flackernden Lampen wie smaragdene Kristallsaiten aufleuchteten.
Doch dann sah ich die Augen.
Das tausendfache Leben, das mir aus ihnen entgegenstrahlte, ließ mich alles ringsherum vergessen: den mißgestalteten Körper, den grünen Schimmel und auch die tierische Schnauze, die sich nun öffnete und ein unverständliches Knurren und Bellen ausstieß. Und seltsam: obwohl es in meinen Ohren auch wie Bellen klang, formten sich in meinem Gehirn kristallklare Gedanken zu wohltönenden Worten.
»Ei, willkommen, schönste Demoiselle. Verzeiht einem alten Mann, wenn er sich nicht erhebt, euch die schuldige Reverenz zu erweisen.«
Das Stadium der Panik hatte ich inzwischen überwunden, selbst das der Verwunderung. Unter dem Eindruck der übermächtig strahlenden Augen hatte ich den Weg zu mir selbst gefunden. Immer noch verspürte ich Ekel, aber ich begann das seltsame Geschöpf bereits seiner Augen wegen zu lieben. Seine Gedanken streichelten zärtlich meine Gehirnzellen; ich empfand plötzlich ein nie zuvor gekanntes Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.
Dann waren Fragen in meinem Gehirn, Fragen nach meiner Herkunft und nach meinem Wissen, nach meiner Familie und nach meinen Gedanken. Ehe ich mich dessen versah, hatte ich ihm mein ganzes Leben erzählt, und das meiner Eltern und meiner Bekannten.
Es mußten Stunden vergangen sein. Immer noch liefen die Lochkarten durch den Computer. Sie speicherten alles, was ich wußte und erzählte. Sie hielten es für alle Zeiten fest.
Und
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