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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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noch nie versucht, auf einer Wolke zu schlafen; außerdem hatte ich das Gefühl, es verdient zu haben – nach all dem, was hinter mir lag. Schließlich endete es damit, dass ich in diesem Daunenparadies versank.
    Ich erwachte mitten in der Nacht, als irgendjemand sich vorsichtig an der Tür zu schaffen machte. Der Türgriff bewegte sich nach unten, dann wieder nach oben. Kurz darauf hörte ich eine der Dielen auf der Veranda knarren. Dann wurde es still, und ich schlief wieder ein.
    Am nächsten Morgen weckte mich ein Klopfen an der Tür. Ich antwortete schlaftrunken. Der Diener stand mit einem Packen ordentlich zusammengelegter Kleider im Arm vor der Tür. In der Hand hielt er ein Paar langschaftige Seestiefel.
    «Ihre Kleider, masta», sagte er und verschwand wieder.
    Ich faltete die Kleidung auseinander und war verblüfft. Es handelte sich um meine Sachen, aber nicht um die, die ich am Vortag getragen hatte. Dies war meine Landgangskleidung: dunkelblaue Jacke und Hose, ein weißes Leinenhemd mit Kragen, graue, selbstgestopfte Wollsocken. Die Stiefel waren die um die halbe Welt geschleppten von papa tru. Ich war sicher, dass mein Eigentum verloren gegangen war, als das Floß in der Bucht vor Apia kenterte. Nun hielt ich es in den Händen.
    Ich schlüpfte in die Kleider und zog die Stiefel an. Viele Monate hatte ich sie nicht mehr getragen, sie waren schwer und unbequem bei der Hitze. Meine Füße schmerzten. Ich ging ins Esszimmer, wo Heinrich Krebs bereits beim Frühstück saß und auf mich wartete. Er war tadellos gekleidet, hatte eine frische Hibiskusblüte im Knopfloch und pomadisiertes Haar. Auf der Damasttischdecke stand meine Schiffskiste. Mitten in diesem sauberen Raum glich sie einem großen Schimmelfleck. Mein Name stand darauf. Ich hatte ihn selbst daraufgemalt.
    «Sie trieb gestern Abend an Land», erklärte Krebs. «Einer meiner Leute hat sie gefunden.»
    Ich schwieg.

    «Ich gehe davon aus, dass der Schrumpfkopf auch kein Mitglied Ihrer Familie ist?»
    «Nein», antwortete ich, «sein Name lautet Jim.»
    «Ja, das erklärt doch alles. Stammt er auch aus Marstal?»
    Ich schüttelte den Kopf und beschloss, dass es besser war, nicht zu antworten.
    «Sie sind ein sehr interessanter junger Mann, Albert Madsen», sagte Krebs und betrachtete mich über den Rand seiner Tasse. «Sehr interessant.»
    «Und Sie stöbern im Eigentum anderer Leute herum, ohne um Erlaubnis zu fragen.»
    Ich starrte zurück und hielt seinem Blick stand, hoffte, er würde nicht bemerken, wie erregt ich war.
    «Wenn man das nicht tut, erfährt man nie etwas», entgegnete er, ohne den Blick abzuwenden.
    «Was würden Sie denn so gern wissen?»
    «Viele Dinge», erwiderte er. «Sie kriechen hier aus der Brandung wie ein Nöck, ganz allein auf der Welt, mit einer ganz eigenen Geschichte, woher Sie stammen und wer Sie sind. Eine Geschichte, die niemand bestätigen oder widerlegen kann.»
    «Mein Name steht auf der Schiffskiste.»
    «Eine Schiffskiste, die einen Schrumpfkopf enthält. Von einem weißen Mann.»
    Ich griff nach der silbernen Kaffeekanne.
    «Das ist eine private Geschichte, die Sie nichts angeht.»
    «Es gibt keinen Grund, sich aufzuregen. Sie haben vollkommen recht. Es geht mich nichts an. Im Übrigen kann ich Sie beruhigen, dass Ihr Freund während seines Aufenthalts im Meer keinen Schaden genommen hat. Im Grunde bemerkenswert, finden Sie nicht?»
    Krebs rührte mit einem Teelöffel in seinem Kaffee. Ich wurde nicht klug aus ihm. Er spielte mit mir, und das gefiel mir nicht.
    Mein Gastgeber legte den Kopf schief und schaute mich prüfend an. Dann begann er unvermutet eine Melodie zu pfeifen, die ich nicht kannte.
    «So unnahbar», sagte er gleichsam zu sich selbst. «So jung, so zornig und so ungeheuer unnahbar. Wie traurig.»

    Er schüttelte den Kopf und stieß bedauernde Laute aus.
    «Tsk, tsk, tsk.»
    Dann fuhr er fort. «Das Allermerkwürdigste an Ihnen ist jedoch Ihr Interesse für Ihren Namensvetter. Verstehen Sie, ein Interesse – und ich glaube, das kann ich Ihnen getrost versichern –, das niemand hier in Apia mit Ihnen teilt.»
    Er stand unvermittelt auf.
    «Na, sehen wir zu, dass wir uns auf den Weg machen.»
    Er nickte in Richtung Schiffskiste, die noch immer auf dem Tisch stand.
    «Nehmen Sie die lieber mit. Ich gehe davon aus, dass Sie bei Ihrem …»
    Er zögerte und ließ sich dann das Wort auf der Zunge zergehen: «… Freund wohnen wollen.»
    Ich nickte unschlüssig. Auf diesen Gedanken war ich

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