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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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überhaupt noch nicht gekommen. Aber Krebs hatte wohl recht. Ich wollte bei meinem Vater wohnen. Fünfzehn Jahre mit dem Rücken zu mir. Ich piekse ihn in den Rücken, und er dreht sich um und lädt mich ein, bei ihm zu wohnen? Ich spürte, wie meine frühere Angst zurückkehrte. Das Ganze war so wenig durchdacht. Ich hatte wirklich keine Seekarte für diesen Teil der Reise.
    Ich stand auf und nahm die Schiffskiste.
    «Sie sind hier natürlich jederzeit willkommen, wenn der Aufenthalt bei Ihrem Freund nicht nach Ihrem Geschmack verläuft. Ich wäre sehr glücklich, wenn wir unsere Bekanntschaft fortsetzen könnten.»
    Krebs machte eine theatralische Verbeugung und wies mit einer ausladenden Handbewegung auf die Tür.
     
    «Reiten Sie?», fragte Krebs, als wir die Veranda verließen.
    Zwei gesattelte Pferde erwarteten uns.
    «Ich kann es ja mal versuchen», antwortete ich und steckte einen Fuß mit einer Bewegung in den Steigbügel, von der ich hoffte, sie routiniert aussehen zu lassen. Dann schwang ich mich auf das Pferd. Einen Moment drohte ich, auf der anderen Seite wieder hinabzurutschen. Ich spürte, wie empfindlich und übel zugerichtet ich am ganzen Körper war. Die Schiffskiste zurrte ich am Sattel fest.

    «Das geht doch ganz ausgezeichnet», sagte Krebs mit einem kritischen Blick.
    Er gab seinem Pferd einen kleinen Hieb mit der Reitpeitsche und ließ es im Schritt gehen. Ich folgte ihm, so gut ich konnte. Ein weiß gekleideter Diener lief neben mir her, vermutlich, um einzugreifen, sollte mein Pferd seinem ungeübten Reiter Schwierigkeiten bereiten.
    Wir ritten ein Stück den Strand entlang. Die Brandung dröhnte wie immer. Jegliche Unterhaltung war unmöglich. Dann bogen wir ins Landesinnere ab. Sobald das Tosen des Meeres schwächer wurde, erging sich Krebs in einem langen Redestrom, der erst aufhörte, als wir unseren Bestimmungsort erreichten.
    Ich hörte nur halb zu, so sehr war ich mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt, doch später erinnerte ich mich an seine Worte und hörte die Warnung, die in ihnen verborgen lag.
    «Sehen Sie sich um», sagte er, wies mit seiner Peitsche in verschiedene Richtungen und straffte plötzlich seinen Rücken.
    «Wir haben große Pläne mit diesem Ort. Noch besitzen wir nicht so viel Land, aber das wird sich ändern. Kommen Sie in zehn Jahren wieder, dann werden Sie den Unterschied erkennen. Dann wird all dieses heillose Durcheinander, diese Unordnung verschwunden sein.»
    Er schnaubte verächtlich, als er diese letzten Worte aussprach, und ich musste an sein Haus denken. Es war zwar leicht und luftig, doch es herrschte auch in einer Weise Ordnung darin, dass nicht nur meine Schiffskiste auf dem Esstisch, sondern auch ich einem Stück Dreck glich, wenn ich am Tisch saß.
    Ich folgte mit den Augen der Bewegung seiner Peitsche und dachte zunächst, dass er mit seinen Worten das Chaos meinte, das der Sturm angerichtet hatte. Dann verstand ich, dass er die üppige Natur selbst als Unordnung empfand.
    «Gerade Reihen», sagte er. «In zehn Jahren werden hier überall gerade Reihen stehen. Lotrechte Steinmauern, hinter denen Ananas, Kaffeebüsche und Kakaobäume wachsen – in geraden Reihen! Kopraplantagen – aber die Palmen müssen auf Linie stehen! Weideareale, planiert und rechteckig, Kühe, Pferde, Palmenalleen wie Soldaten bei der Parade! Springbrunnen!»
    Seine Stimme kippte in ein Stakkato, je weiter die Aufzählung der
kommenden Herrlichkeiten voranschritt. Dann hielt er inne und wurde nachdenklich.
    «Die Arbeitskräfte müssen wir natürlich importieren. Die Eingeborenen hier sind ja zu nichts nutze.»
    «Wieso nicht?», fragte ich, eigentlich nur, um mein Interesse an seiner Konversation zu demonstrieren. Meine Gedanken weilten woanders.
    «Nun ja, es ist nicht so, dass sie hier fauler sind als an anderen Orten. Die Eingeborenen sind, wie sie nun einmal sind, und ich könnte einige individuelle Beispiele von Fleiß aufzählen. Aber es hält nicht an.»
    Er sah mich an, als wäre er der Meinung, dass seine folgenden Ausführungen von besonderem Interesse für mich sein müssten. Dann fuhr er fort.
    «Ihre Familien sind ihr Fluch. Sie sehen die gepflegte Kleidung, die meine Diener tragen. Wenn sie einen Familienbesuch machen, verbiete ich ihnen, sie anzuziehen. Adolf hier, ja, ich gebe ihnen deutsche Namen, der Einfachheit halber …»
    Er deutete auf den Diener, der neben meinem Pferd herlief.
    «Adolf bekam die Erlaubnis, in seinen vornehmen Kleidern die

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