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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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seiner sonnenverbrannten, leicht gefurchten Wangen sprießte.
    «Der Herr suchen?», fragte er in einem Englisch, dessen Akzent ich sofort als den eines Deutschen erkannte.
    Ich antwortete ihm daher auf Deutsch.
    «Ich bin dänischer Seemann und gekommen, um den Verlust der Johanne Karoline aus Marstal zu melden, die im Sturm auf das Riff vor Apia gelaufen ist. Können Sie mir sagen, ob es hier in der Nähe ein Konsulat oder irgendeine andere Form von Behörde gibt, an die ich mich wenden kann?»
    «Ah ja, so, Sie sind Däne. Tja, dann sind wir ja beinahe so etwas wie Landsleute. Ein dänisches Konsulat finden Sie hier selbstverständlich nicht. Und was die Behörden angeht …»
    Er zuckte die Achseln, als hätte dieses Wort hier nicht sonderlich viel
Bedeutung. Er ließ seinen Schnurrbart los und blickte einen Moment zu Boden, als suchte er etwas. Währenddessen verschränkte er die Hände auf dem Rücken, und seine Miene bekam einen nachdenklichen Ausdruck.
    «Ja, ich bin so eine Art Konsul, ich meine deutscher Konsul. Ich könnte mich am ehesten Ihrer Sache annehmen. Ich hörte wohl, dass ein Schiff auf das Riff gelaufen ist, aber durch den Sturm war es unmöglich, Hilfe zu schicken. Wir hatten genug damit zu tun, unser eigenes Leben zu retten.»
    Er streckte die Hand aus: «Heinrich Krebs.»
    Ich nannte meinen Namen.
    «Madsen? Der Name kommt mir bekannt vor.»
    Er nahm den Hut ab und trocknete sich mit einem Taschentuch die Stirn.
    «Ja, es liegt an der Hitze. Das Erinnerungsvermögen wird schlechter.»
    «Es ist ein Landsmann», sagte ich.
    Ich bekam einen trockenen Mund, mein Herz schlug heftig.
    «Es hieß, es gebe einen Madsen auf Samoa. Ich würde ihn gern treffen.»
    «Ja, das wird sich bestimmt arrangieren lassen. Ich werde mich umhören. Aber ich muss Sie warnen. Nicht immer ist eine Begegnung mit einem Landsmann in diesen Breiten ein erfreuliches Erlebnis.»
    Er legte mir die Hand auf die Schulter und sah mich prüfend an. Dann lächelte er.
    «Kommen Sie doch mit herein. Sie sehen etwas mitgenommen aus. Aber Sie hatten Glück. Es gibt nicht viele, die einer Begegnung mit dem Riff von Apia lebend entkommen. Wo ist der Rest der Besatzung?»
    «Kapitän Hansen schaffte es nicht bis an Land», antwortete ich lapidar, wobei ich einen Anflug von schlechtem Gewissen über meine Lüge empfand.
    «Sie haben sicherlich das Bedürfnis nach einem Bad und einem Mittagessen. Den Bericht kann ich ja hinterher aufnehmen.»
     
    Ein eingeborener Diener, wie sein Herr in makelloses Weiß gekleidet, ließ mir ein Bad ein. Ich entledigte mich meiner schmutzigen und zerrissenen
Kleidung und betrachtete mich in einem mannshohen Spiegel mit vergoldetem Rahmen. Kein Anblick, der eine so geschmackvolle Fassung verdiente. Ich sah mager und knochig aus, mein Körper war voller blauer Flecken. Auch mein Gesicht verriet, was ich durchgemacht hatte. Es war von nur halb verheilten Wunden verschrammt. Eine verlief quer über die rechte Augenbraue, eine andere zog eine blutrote Linie über meine Wange. Ich glich eher einem verlebten Tagelöhner im Hafen als einem Schiffbrüchigen, und es wunderte mich, dass der Konsul mich nicht gleich fortgejagt hatte.
    Ich vermutete, dass mein Bericht über den Schiffbruch lediglich eine Formsache sei. Es würde kein Seeverhör stattfinden, und es würden auch keine offiziellen Stellen hinzugezogen. Ich hätte mich ebenso gut still und leise unter die Einwohner von Apia mischen können. Niemand hätte bemerkt, ob es einen Herumtreiber mehr oder weniger am Strand gab.
    Die Lügen, in die ich mich verstrickte, waren überhaupt nicht notwendig. Aber nun hatte ich damit angefangen und konnte ja schlecht einen Rückzieher machen.
    Heinrich Krebs war keine wirkliche Bedrohung. Er wirkte eher wie ein Mann, der seine eigene Bedeutsamkeit bestätigt sehen wollte. Es war wohl meine Aufgabe für einen Tag, ihn in der Rolle des Wohltäters auftreten zu lassen und ihm darüber hinaus ein wenig Abwechslung zu verschaffen, da ihm der Orkan anscheinend nicht Unterhaltung genug gewesen war. Ich hatte bei ihm das gleiche Gefühl wie bei den meisten Weißen, denen ich im Gebiet des Stillen Ozeans begegnet war. Hinter ihrer Fassade von Zivilisation und kontrollierter Ordnung verbarg sich immer etwas anderes.
    Aber ich interessierte mich nicht für Heinrich Krebs’ Geheimnisse. Ich hatte in letzter Zeit Entdeckungen genug gemacht.
     
    Als ich aus dem Bad trat, bemerkte ich, dass man mir auf einem Stuhl einen weißen

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