Wir Ertrunkenen
Waffen versorgte, die sie auf ihren breiten braunen Schultern tragen konnten.
Heinrich Krebs war in der Zwischenzeit ein großer Mann geworden. All seine Pläne hatten sich realisiert. Seine neidischen Konkurrenten sagten über ihn, er sei der einzige Plantagenbesitzer des Stillen Ozeans mit einer eigenen privaten Flotte von Kriegsschiffen. Das Deutsche Reich folgte jedem auch noch so geringen Wink von ihm. Er war Staatsmann und Plantagenbesitzer in einer Person. Auf seinem Grund standen die Kokospalmen wie bei einer Parade, und die Peitsche knallte, als wäre man auf einem Exerzierplatz. Seine Plantage wurde im Volksmund einfach nur «die Gesellschaft» genannt, als gäbe es auf Samoa niemand anders als Heinrich Krebs und seinen Traum von geraden Linien, obwohl in Apia inzwischen ein amerikanisches Konsulat eröffnet worden war und eine englischsprachige Zeitung erschien.
Es sollte zum Krieg kommen. Die Eingeborenen, die wie gesagt über eine Unmenge von Waffen verfügten, schossen ausgesprochen gern, hielten allerdings nicht sonderlich viel davon, zunächst einmal zu zielen, so dass nie wirklich große Verluste zu beklagen waren, wenn sie aufeinander losgingen.
Dann kam der Flaggenkrieg. Die Großmächte pflanzten ihre Fahnen überall auf der Insel auf, wo sie nichts zu suchen hatten. Auf eine britische Flagge wurde ein Schuss abgefeuert, eine amerikanische Flagge steckte man in Brand, und für beide wurden die Deutschen verantwortlich gemacht. Einheimische umzingelten deutsche Truppen, die man an Land abgesetzt hatte; ein halbes Hundert Soldaten wurde getötet. Es hieß, das Haus, in dem sie Widerstand leisteten, hätte hinterher mehr Löcher gehabt als ein Fischernetz. Die Deutschen fielen durch amerikanische Kugeln, die die Briten geliefert hatten, und plötzlich war die Bucht von Apia voller Kriegsschiffe – insgesamt sieben aus drei verschiedenen Nationen. Und alle warteten auf den ersten Schuss.
Doch der erste Schuss fiel nie, und genau das ist die eigentliche Geschichte, berichtete Peter. Das Meer schlug zu, bevor die Kanonen feuern konnten.
Von einem Tag auf den anderen stürzte das Barometer ins Bodenlose. Jeder, der die Bucht von Apia kennt, weiß, was das bedeutet: Es galt, so
schnell wie möglich in See zu stechen. Doch die Offiziere auf den Schiffen ahnten nichts. Diese Dummköpfe wollten sich gegenseitig herausfordern und wussten nicht, dass das Meer ihr ärgster Feind war. Der Wind frischte auf, bis es stürmte; die Amerikaner bezeichneten es als hurricane. Die Wellen in der Bucht türmten sich so hoch auf, dass sie sogar uns erschrecken würden, die wir doch die Herbststürme über dem Skagerrak oder dem Nordatlantik kennen.
Welch ein Anblick bot sich am Morgen. Drei Kriegsschiffe waren aufs Riff gelaufen, zwei lagen mit blankem Kiel am Strand, und zwei befanden sich auf dem Grund der Bucht. Statt sich gegenseitig Tod und Vernichtung zu bringen, hatte das Meer die Kanonen und Munition gefressen. Überall waren brodelnder Schaum und die nassen Rücken ertrunkener Seeleute zu sehen, die in der Brandung tanzten, bevor sie schließlich an Land gespült wurden.
Die Sonne ging auf, und ihr Strahlenglanz breitete sich über einen Himmel, der von Wolken rein gefegt war. Doch der Strand bot ein anderes Bild.
Die an Land getriebenen Leichen wurden gleichmäßig aufgereiht. Zwischen ihnen gingen die Überlebenden stumm umher, vor Erschöpfung am ganzen Körper zitternd, vielleicht weil ihnen der Schrecken über die Gewalt des Meeres noch in den Gliedern steckte. Es waren Marinesoldaten. Sie waren für eine andere Art von Sieg oder Niederlage bestimmt, für eine andere Art von Tod oder Überleben. Nun erlitten sie das Schicksal, das so oft uns Seeleute ereilt.
Auf den Gang der Geschichte hatten sie keinen Einfluss. Niemand würde sich an sie erinnern. Es waren weder die Amerikaner noch die Engländer oder die Deutschen, die den Krieg um Samoa gewannen. Es war der Stille Ozean.
Laurids schritt die Reihen der durchnässten Leichen, die mit dem Bauch im Sand lagen, ebenfalls ab. Niemand wusste, warum man sie so hingelegt hatte. Vielleicht weil es zu schrecklich gewesen wäre, in die Gesichter so vieler Toten zu blicken. Noch am Tag zuvor waren sie bereit gewesen, aufeinander zu schießen. Nun konnte man nicht mehr erkennen, wer Deutscher, Amerikaner oder Engländer war. Laurids deutete mit dem Finger auf sie, als wollte er sie zählen, und seine Laune schien bei jeder Leiche, an der er vorüberkam, zu
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