Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
Vom Netzwerk:
rücksichtsloser Mörder, der mit den Köpfen seiner Opfer in einer Kiste umherspazierte. Er glaubte möglicherweise sogar, dass ich gekommen war, um mich zu rächen.
    Es war so verrückt, dass ich zu lachen anfing. Ich lachte, weil ich verzweifelt war und sonst wohl wie ein Tier vor Schmerz aufgeheult hätte.
    Wie muss mein Gelächter wohl in den Ohren meines Vaters geklungen haben?

    Er starrte mich an, vor Angst wie gelähmt. Dann begann er, im Staub rückwärts kriechend, sich von mir zu entfernen. Er war offensichtlich der Ansicht, es sei ein Triumphgelächter, das lediglich den unmittelbar bevorstehenden Racheakt ankündigte. Er zitterte vor Angst.
    In der Hitze der Mittagsstunde hatte sein Anblick alle möglichen Gefühle in mir ausgelöst: Angst und Panik, Erstaunen und Zorn. Einen Augenblick war ich sogar versucht gewesen, ihn zu bedauern. Nun schlug mein Mitleid in Verachtung um. Ich erhob mich und ging zu meiner Schiffskiste. Eine teuflische Eingebung brachte mich dazu, Jim an seinem Zopf zu packen und den Schrumpfkopf durch die Luft zu wirbeln. Ich ging einen bedrohlichen Schritt auf den Mann zu, der einmal mein Vater gewesen war.
    Papa tru hockte noch immer im Staub. Zwischen seinen Beinen breitete sich ein nasser Fleck im Sand aus. In seiner Angst hatte er die Kontrolle über seine Blase verloren. Seine Kinder drückten sich an ihn. Wäre ich ihrer Sprache mächtig gewesen, hätte ich sie angeschrien, dass von diesem jämmerlichen Vater keine Hilfe zu erwarten sei. In der Türöffnung erschien die Mutter der Kinder. Sie war groß und massig und hatte ihre Augen vor Entsetzen ebenso aufgerissen wie die Kinder.
    Ich legte Jim zurück in die Schiffskiste und klemmte sie mir unter den Arm. Ich grüßte mit einem Finger an der Mütze und machte mich auf den Weg. Die ersten Schritte ging ich langsam. Dann begann ich zu laufen. Und während ich lief, merkte ich, wie mir die Tränen über die Wangen liefen.
    Die Augen der Eingeborenen verfolgten mich aufmerksam. Ich hatte den Frieden der Mittagsstunde gestört.
    Laurids schien beim Anblick meines Rückens seinen Mut wiedergefunden zu haben. Hinter mir hörte ich noch einmal den Klang seiner Stimme.
    «Meine Stiefel!», brüllte er.
    Ich drehte mich nicht um.
    Ich habe meinen Vater nie wiedergesehen.

    Ich kam zurück nach Hobart Town, wo diese verfluchte Reise, auf die ich mich niemals hätte begeben sollen, angefangen hatte. Es war kein fröhliches Wiedersehen. Es gab nichts in dieser elenden Stadt, das irgendjemanden zum Frohsinn anstiften konnte.
    Und doch hatte hier alles begonnen. Und hier sollte auch alles enden. Ich ging ins «Hope and Anchor» und begrüßte Anthony Fox. Als ich ihn verließ, war er gelb und blau. Das war mein Punkt hinter der Geschichte.
    Fox freute sich nicht, mich zu sehen, obwohl er tat, was er konnte, um es zu verbergen. Er hatte auch keinen Grund zur Wiedersehensfreude. In seinen Augen musste ich von den Toten auferstanden sein.
    Ich war genau wie Anthony Fox. Ich vergaß niemals irgendwelche Schulden. Das sagte ich ihm. Daraufhin verschwand das falsche Willkommensgrinsen aus seinem Gesicht, und er griff zu einem Revolver, den er unter seinem Bartresen aus Messing versteckt hielt, dem elegantesten von ganz Hobart Town. Aber mit diesem Trick hatte ich gerechnet und war schneller als er. Wir landeten im Hinterzimmer. Er teilte gut aus. Aus seiner Zeit als Strafgefangener kannte er viele miese Tricks. Doch ich schlug härter, denn ich war jünger und größer als er. Schließlich streckte ich ihn zu Boden. Dort würde er eine Weile liegen bleiben. Ich schlug noch auf ihn ein, als er bereits aufgegeben hatte. Meine Wut erforderte das.
    Als ich ihm auch noch die letzte Rippe gebrochen hatte, sagte ich: «Und dies ist ein Gruß von Jack Lewis.»
    Nicht weil ich Jack Lewis etwas schuldig war, sondern weil die Rechnung aufgehen sollte. Wir waren beide Opfer desselben Betrügers geworden. Es war Anthony Fox, der die Gewehre an die Eingeborenen auf Jack Lewis’ Insel verkauft hatte, und als er mir seinen Namen nannte, musste er davon ausgegangen sein, dass ich nicht lebend wieder nach Hause zurückkehren würde.
    Was sich zwischen ihm und Jack Lewis abgespielt hatte, weiß ich nicht. Es ist mir auch vollkommen egal. Der eine war nicht besser als der andere. Lewis war möglicherweise der Schlimmste, und Fox hatte bestimmt allen Grund für seine Rache.
    Aber mit meinem Leben hatte er nur gespielt. Mein Tod war lediglich ein kleiner

Weitere Kostenlose Bücher