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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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steigen.

    «Ich sah ihn und dachte mir, nun ist er vollkommen verrückt geworden», berichtete Peter Clausen.
    Er hielt sich an diesem Morgen ebenfalls am Strand auf. Er zählte nicht die Toten wie Laurids, sondern die Lebenden. In jedem von ihnen sah er einen zukünftigen Kunden, nun, da die versammelten Schiffe dreier Nationen sich in Wracks verwandelt hatten und ihr Proviant mit einem Teil der Mannschaft verschwunden war.
    «Glücklicherweise waren die Überlebenden in der Überzahl», erzählte Peter Clausen.
    Uns war nicht klar, ob es seiner Ansicht nach ein Glück für die Menschen oder sein Geschäft war.
    Jedenfalls wurde die Katastrophe in der Bucht von Apia zum Wendepunkt für seine Handelsstation.
    «Ich weiß nur», sagte Clausen, indem er noch einmal Laurids ansprach, «dass er nun wieder zu Verstand kam, wenn er ihn denn irgendwann einmal verloren haben sollte. Ob er wieder der Alte wurde, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, wie er früher gewesen ist. Doch er erschien an meiner Tür und fragte, ob er irgendwie helfen könne. Das war etwas Neues. Früher kam er nur, wenn er etwas benötigte, und er brauchte immer irgendetwas. Aber einer regelmäßigen Arbeit ging er ja nicht nach. Ihr dürft mich nicht missverstehen. Ich habe gern gegeben, wenn ich seinen Wunsch angemessen fand. Für eine Mahlzeit und eine Tasse Kaffee reichte es immer. Wir stammten ja trotz allem beide aus Marstal. Aber ein Umgang, der mir gefiel, war er nun ganz gewiss nicht. Er sagte nicht einmal danke, wenn er mit vollem Bauch wegging. Doch sollte es je einen anderen Laurids gegeben haben, so war es der, den ich traf, als er vom Strand mit den Toten zurückkam. Natürlich erinnerte ich mich daran, dass auch er einmal auf der Seite der Verlierer an einer Seeschlacht teilgenommen hatte und in Gefangenschaft geraten war. Es musste ein ziemlich demütigendes Erlebnis für ihn gewesen sein. Nun sah es so aus, als wäre er auferstanden.»
    «Laurids hat den Arsch des heiligen Petrus gesehen. Er flog zum Himmel und stand an der Pforte zum Paradies. Aber er kam wieder zurück, und sein Verstand hatte sicher Schaden genommen. Niemandem tut es gut, auf der Schwelle des Todes zu stehen und dann umzudrehen», sagte Lille Clausen.

    «Tja, damit muss ich mich nicht beschäftigen», erwiderte sein Sohn. «Ich habe keine Ahnung, was in Verrückten vorgeht. Jedenfalls wurde er wieder zu einer Art Mensch. Er hatte als Palmweinsäufer unter den Eingeborenen gelebt. Sein Leben war ein ständiges malanga. Und von den Weißen auf Samoa wurde er wahrlich nicht sonderlich respektiert. Nun ja, von mir hielten sie auch nicht viel. Ich hatte Kinder mit einer eingeborenen Frau. Obwohl meine Kinder gute dänische Namen trugen, wurden sie Halbblut oder Mischling genannt, und das war nicht eben schmeichelhaft gemeint. Die Engländer sind die Schlimmsten, wenn es um derartige Bezeichnungen geht. Doch jetzt bin ich ein reicher Mann. Ich habe die amerikanische Flotte als Kunde. Mir ist es deshalb egal, wie sie uns nennen. Meine Kinder erben den shop, sie werden schon zurechtkommen.
    Die Deutschen zogen in diesen Tagen den Kopf ein. Heinrich Krebs wurde ein ruhiger Mann. Es steckte nicht sonderlich viel Bismarck mehr in ihm. Aber Laurids wurde beinahe respektabel. Er stutzte sich den Bart und hörte auf zu trinken. Ich ließ ihn hin und wieder den Laden versorgen.
    Er baute sich eine Schmack und nähte selbst die Segel. Wie ein Eingeborener segelte er durch die Brandung und kam mit Fischen nach Hause. Nun war Schluss damit, oben in den Palmwipfeln zu hocken. Ich habe ihn ein einziges Mal gefragt, ob er seine Familie daheim vermissen würde. Es war vielleicht eine dumme Frage. Was ist Familie, wenn man sie wie Laurids vierzig Jahre nicht gesehen hatte?
    Er drehte mir den Rücken zu und verschwand mit einem Gesicht wie eine Donnerwolke. Ich dachte, dass er nun wieder mit malanga begänne. Aber ein paar Tage später kam er zurück und war noch immer der neue Laurids.
    Eines Tages segelte er in seiner Schmack durch das Riff hinaus und kam nicht wieder zurück. Das Boot wurde nie gefunden. Das war das Ende von Laurids, würden die meisten wohl sagen. Ich hatte allerdings den merkwürdigen Gedanken, dass er fortgesegelt sei, um ein neues Leben zu beginnen.»
     
    Albert hatte Peter Clausens Berichten nie Gehör schenken wollen. Wir erzählten es ihm dennoch, als Clausen wieder fort war. Er hörte stumm
zu und sagte kein Wort. Dann beugte er sich vor und rieb mit dem

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