Wir Ertrunkenen
verbundene Lebensweise einfach näher als der Seemann. Zu lernen, den Nacken zu beugen und sich in die Hand des Schicksals zu begeben, war für Bauern nicht schwer. Obwohl der Seemann auch den Launen des Wetters und des Meeres ausgesetzt war, stellte er dennoch auch so etwas wie einen Herausforderer dar, war jemand, der sich widersetzte.
Irgendwelche Spannungen zwischen uns und dem Pastor existierten nicht. Der innerste Kreis der Gemeinde bestand aus alten Frauen, die sich gottergeben durch die Predigten des Pastors schliefen. Aber auch in den äußeren Kreisen gab es keinerlei Anzeichen von Widerspruch. Wir hatten das Gefühl, ein Pastor gehöre dazu, und da Abildgaard nie unsere Lebensweise in Zweifel zog, war das Verhältnis von gegenseitigem Verständnis geprägt.
«Sie dürfen die Bauern wirklich nicht als dumm bezeichnen», fuhr der Pastor fort. «Sie unterstützen doch auch die aufgeklärten Ideen, denen Sie, soweit ich weiß, anhängen. Sehen Sie sich nur die Volkshochschulen an. Die Seeleute dagegen – nun ja, gibt es überhaupt abergläubischere Menschen als sie? Und die neue radikale Zeitung hier im Ort, wie kann es sein, dass es ihr gar nicht gut geht, wenn nun Ihrer Ansicht nach die Seemannszunft so aufgeklärt, ja geradezu international orientiert ist? Und bei den Wahlen – haben Sie denn gar nicht bemerkt, dass die Wähler dieser Stadt durchweg konservativ stimmen? Wie erklären Sie sich das?»
Pastor Abildgaards Tonfall war spöttisch geworden.
«Tja, das liegt am Anteilseigentum», antwortete Albert. «Der Schiffsjunge läuft herum und fühlt sich als Kapitän, bloß weil ihm ein Hundertstel des Schiffs gehört. Und dann glaubt er, die Interessen des Kapitäns vertreten zu müssen.»
«Und, ist es denn falsch?», beharrte der Pastor. «Ihr eigenes Motto, das Sie obendrein in vierzehn Tonnen Granit meißeln ließen und unter
Absingen patriotischer Gesänge enthüllten, ist doch, dass Einigkeit stark macht.»
«Ja, dieses Motto war beinahe sozialistisch gemeint.»
Der Pastor irritierte Albert, er wollte ihn provozieren.
«Wo wäre denn diese Stadt, wenn ihre Bürger es nicht verstünden zusammenzustehen? Wir verfügen über die zweitgrößte Flotte des Landes, obwohl die Stadt, was die Einwohnerzahl betrifft, vielleicht auf irgendeinem Platz weit hinten steht. Wir haben eine Seeversicherung auf Gegenseitigkeit, finanziert von den Seeleuten der Stadt. Und wir haben die Mole. Niemand von außerhalb hat sie für uns gebaut. Wir haben es selbst getan. Das kann man durchaus Sozialismus nennen.»
«Davon muss ich in meiner nächsten Sonntagspredigt berichten. Ich muss den erzkonservativen Bürgern dieser Stadt mitteilen, dass sie in Wahrheit Sozialisten sind. Normalerweise halte ich es für unschicklich, wenn in der Kirche gelacht wird. Aber am nächsten Sonntag wird es eine Ausnahme geben.»
Albert spürte, dass er keine gute Figur machte. Aber er wollte nicht aufgeben. Einen Augenblick schien sein alter Kampfgeist wieder zu erwachen.
«Nehmen Sie nur den Seemann», sagte er. «Er heuert auf einem neuen Schiff an. Er ist umgeben von lauter Fremden. Sie stammen nicht nur aus anderen Städten und Landesteilen, häufig auch aus ganz anderen Nationen. Aber er muss lernen, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Seine Sprache passt sich an, er lernt nicht nur neue Wörter und andere Grammatiken, er macht auch die Bekanntschaft mit ganz anderen Denkweisen. Er wird eine andere Art von Mensch als derjenige, der sein Leben lang in derselben Ackerfurche pflügt. Und solche Menschen braucht die Welt, keine Nationalisten und Kriegstreiber. Das ist der Kern der seemännischen Lebensweise, von der ich fürchte, dass dieser Krieg sie zerstören wird.»
Der Pastor lachte erneut, bereit zu einer neuen geistreichen Antwort. «Ja, und dann kommt dieser Internationalist heim nach Marstal, redet marstalerischer als je zuvor und behauptet, dass der Bauer, nur weil er ein paar Flurgrenzen entfernt wohnt, eine fremde Sprache spricht, die niemand versteht, und daher dumm sein muss. Ja, das ist ein richtiger Internationalist, den Sie da erschaffen haben, Kapitän Madsen. Da ziehe ich den Nationalisten vor. Sein Gemeinschaftsgefühl ist doch ein wenig
umfassender. Es schließt nämlich oben und unten ein, Bauern und Seemann, Hauptsache sie haben eine gemeinsame Sprache und Geschichte. Und ich sehe auch nicht, dass dieses Gemeinschaftsgefühl in den momentanen unglücklichen Kriegsjahren zerstört wird. Im Gegenteil, ich finde,
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