Wir Ertrunkenen
ordentliche Seemänner.
«Wirklich schade», hatte Sand zu dem deutschen Kapitän gesagt, als sie an Deck des U-Boots standen und zusahen, wie die Salvador verbrannte.
«So ist der Krieg», hatte der U-Bootkapitän geantwortet und bedauernd die Achseln gezuckt.
Nein, er war kein Engländer, aber dennoch ein Gentleman. Als die Deutschen die Schleppleine kappten, hatten sie sogar noch höflich gefragt, ob die Besatzung der Salvador genügend Proviant an Bord des Rettungsbootes hätte. Sie hatten sich mit der gegenseitigen Versicherung getrennt, die ganze Geschichte nicht persönlich zu nehmen. Der Koch, der seine Mütze verloren hatte, bekam stattdessen einen Südwester. Am Tag darauf wurden sie von einem englischen Trawler aufgefischt, auch sie feine Leute.
Einige Monate später traf die Mitteilung der deutschen Regierung ein, dass das Versenken der Salvador unberechtigt erfolgt sei. Sand bekam ein Entschuldigungsschreiben von Kaiser Wilhelm persönlich sowie einen Betrag von siebenundzwanzigtausend Kronen, der der Versicherungssumme entsprach.
Einige Monate später brannte der nächste Schoner. Es war die Cocos. Albert konnte seiner rechten Spalte einen weiteren Namen hinzufügen.
Auch diesmal kam die Mannschaft nach Hause und erzählte vom Krieg wie von einem großen Spaß. Das U-Boot hatte die Besatzung zu dem Marstaller Schoner Karin Bak gebracht, der sich in der Nähe aufhielt. Die Karin Bak kam unbeschadet davon, allerdings hatte Kapitän Albertsen die Schiffbrüchigen an Bord zu nehmen. Dann hatte das U-Boot kehrtgemacht, aber nur, um wieder mit den Kleidern der Besatzung der Cocos, die sie in der Eile vergessen hatten, aufzutauchen.
«Tja, bitte, was sagst du nun? Das ist richtige Dienstleistung, wenn die deutschen U-Boote in den Krieg ziehen!»
«Wieso habt ihr sie nicht gefragt, ob sie euch nicht auch noch die Unterhosen waschen, wenn sie schon mal dabei sind?», wollte Ole Mathiesen unter allgemeinem Gelächter wissen.
Über die Telegrammticker kamen die Nachrichten von fürchterlichen Verlusten an allen Fronten. Aber in Marstal beschlossen wir, dass der Krieg ein Fest war.
Albert führte seine Bücher. Es wurde zu einer Art Obsession für ihn. Er hatte das Gefühl, als läge eine Botschaft darin, deren Bedeutung nur noch niemand kannte. Die Zahlen hatten Beweiskraft. Er legte Listen über die Preise der lebensnotwendigen Waren in Marstal an: Schwarzbrot, Butter, Margarine, Eier, Rindfleisch, Speck. Er verfolgte die Heuern der Mannschaften, die Kriegszulagen, die Zulagen für europäische Transporte oder Reisen nach Übersee, die Unfallversicherung bei Tod oder Invalidität. Er beobachtete den Frachtmarkt und die Schiffspreise, die Börsenkurse und die Devisennotierungen.
All dies erledigt ein Schiffsmakler, wenn er seiner Arbeit ordentlich nachgeht. Legt er aber auch lange Listen über von Minen zerstörte Boote an, über Schiffe, die durch Torpedos oder Brand vernichtet wurden, über gefallene Nordschleswiger und die Zahl englischer Verluste am 9. Januar 1916? Vierundzwanzigtausendeinhundertzweiundzwanzig getötete Offiziere und fünfhundertfünfundzwanzigtausenddreihundertfünfundvierzig getötete Unteroffiziere und Gemeine. Unvorstellbare Zahlen, schreibt er, und gerade darum hinterlassen sie keinen Eindruck. Aber warum notiert er sie dann? Wieso nennt er sie immer wieder in den Gesprächen, die er mit uns führt?
Warum hat ein Schiffsmakler und Reeder in einer kleinen Hafenstadt eines neutralen Landes, das nicht am Weltkrieg und – so könnte man sagen – damit in gewisser Weise auch nicht an der Welt teilnimmt, eine rechte und linke Spalte über untergegangene Schiffe, wobei die linke Spalte die Schiffe aufführt, die er im Traum hat untergehen sehen, und die rechte diejenigen, die einige Zeit später tatsächlich draußen im Meer der Realität gesunken sind? Was will er?
Im ersten Kriegsjahr verlor die Stadt sechs Schiffe. Im Jahr darauf nur eines. Bisher war noch niemand umgekommen. Millionen Tote jenseits des Blickfeldes. Doch wir hatten keine Toten im Blick, sondern etwas anderes, leichter zu Erfassendes: Der Frachtmarkt zog an, neu gebaute Schiffe fuhren ihr Startkapital innerhalb eines Jahres wieder ein, die Heuern verdreifachten sich. Bereits 1915 begannen auch die Schiffspreise zu steigen. Sogar ältere Holzschiffe, ramponiert von vielen Jahren auf See, konnten zu Preisen verkauft werden, die doppelt so hoch waren wie in gewöhnlichen Zeiten. Am Ende des Jahres
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