Wir Ertrunkenen
hatten sich die Preise verdreifacht. Und diese Tendenz setzte sich das gesamte folgende Jahr fort. Das berühmteste Schiff der Stadt, die Agent Petersen, die 1877 als schnellstes Schiff von Südamerika nach Afrika gesegelt war, wurde auf fünfundzwanzigtausend Kronen geschätzt, aber für neunzigtausend Kronen verkauft.
Marstal begann, seine Flotte zu verlieren, aber nicht an die U-Boote.
Albert hatte seine rechte und seine linke Spalte. Aber er stellte fest, dass es noch eine dritte gab, vor der ihn seine Träume nie gewarnt hatten – und diese dritte Spalte füllte sich am schnellsten. Er legte in seinem Buch eine Liste der verkauften Schiffe an und verfolgte, wie sie die beiden anderen überholte. Diese Liste war undramatisch. Sie registrierte weder Träume noch Tote, doch sie brachte der Stadt einen seltsam hektischen Wohlstand. Plötzlich gab es überall Geld im Überfluss. Die Häuser wurden neu gestrichen und renoviert. Die sonst so bescheiden angezogenen Frauen trugen die ganze Woche ihre Sonntagskleider. Die Kaufleute der Stadt boten neue und teurere Waren an. Die einst so sparsamen Marstaler lebten, als ob es kein Morgen gäbe.
Doch nicht die Todesangst vor dem Krieg war die Ursache dieses Fiebers. Es war der Rausch, der von dem Geld ausging.
Und schließlich kam der Krieg auch nach Marstal, allerdings mit einem anderen Gesicht als dem eines Festes. Endlich, ja, so dachte und schrieb er. Einen Moment schien es, als sollte die Mauer, die Albert von allen
anderen trennte, doch noch fallen. Was er wusste, sollten alle wissen. Menschen kamen nicht länger nur in seinen einsamen Träumen um. Auch in der Wirklichkeit wurden sie erschossen, sie ertranken, erfroren oder starben vor Erschöpfung und Durst. Die Überlebenden kehrten nach Hause zurück und berichteten, was er aus seinen Träumen bereits kannte. Andere verschwanden spurlos.
Vom königlichen Gesandten in Berlin traf die Nachricht ein, dass die Astræa verschwunden war. Niemand wusste etwas über den Ort und die Umstände. Sieben Besatzungsmitglieder wurden vermisst, unter ihnen zwei Marstaler, Kapitän Abraham Christian Svane und Steuermann Valdemar Holm. Ein Färöer und ein Matrose von den Kapverden waren unter den Übrigen.
Albert hatte sie sterben sehen. Er hatte gesehen, wie sie zwischen herumfliegenden Holzsplittern eines Rettungsbootes, das beschossen wurde, um ihr Leben kämpften. Es war ein ruhiger, bedeckter Tag. Das Meer lag da wie graue Seide. Er hatte gesehen, wie sich das Wasser wieder schloss, als die Lungen dort unter der Oberfläche aufgaben und die letzte Luftblase zerplatzt war.
Deutschland hatte den totalen U-Bootkrieg erklärt. In den vorausgegangenen Jahren verlor Marstal sechs Schiffe, nun waren es innerhalb eines Jahres sechzehn. Allein im April wurden sechs Schiffe versenkt. Im Monat darauf waren es vier. Die Überlebenden kehrten heim, gezeichnet von ihren Erlebnissen, nicht bereit, bei einem zufälligen Trinkgelage im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Hier kam die Besatzung der Freden, die mit ansehen musste, wie ihr Kapitän und der Bootsmann vor ihren Augen erschossen wurden; dann trieben sie tagelang in einem lecken Boot umher, während zwei weitere Besatzungsmitglieder starben. Sie blieben zu Hause bei ihren Familien oder bogen unvermittelt in eine Gasse, wenn ein Bekannter ihren Weg kreuzte.
Die Hydra verschwand mit sechs Besatzungsmitgliedern an Bord spurlos. Nicht alle stammten aus Marstal, aber für die Stadt war der Verlust spürbar.
Nun taten sich Löcher in der Reihe auf.
Pastor Abildgaard betrat Jørgensens Kolonialwarenhandlung in der Tværgade. Der Eigentümer, dessen voller Name Kresten Minor Jørgensen lautete, war ein ehemaliger Steuermann, der an Land gegangen war und nun das Geschäft in einer Kombination aus Kaufmannsladen und Schiffshandel betrieb. Er stand selbst hinter dem großen Holztresen, ein kleiner, gebückter Mann mit einem kahlen, gleichsam blank polierten Schädel, der an Sommertagen, wenn er in seiner kurzen Khakijacke spazieren ging, die Sonne reflektierte, so dass Passanten die Augen zusammenkneifen mussten.
Als Abildgaard in den Laden trat, schrillte die kleine Glocke über der Tür mit einem lauten, irritierenden Geräusch. Auf einer langen Holzbank rechts neben der Tür saßen ein paar alte Skipper und plauderten.
Worüber sie sich unterhielten, erfuhr Abildgaard nie.
Sowie er die Tür hinter sich geschlossen hatte, herrschte Totenstille.
Totenstille war das
Weitere Kostenlose Bücher