Wir Ertrunkenen
einer Auseinandersetzung gekommen. Er wusste nicht mehr, worum es ging. Nur dass Carl mit einer blutigen Nase daraus hervorging. Er hatte ihn nicht wiedergesehen, bevor er sich als Erwachsener mit seiner Familie in Marstal niederließ. In der Zwischenzeit war er zu einem bekannten Maler mit gutem Einkommen geworden, das er in die Schiffe der Stadt investierte. Er hatte die Altartafel in der Kirche gemalt und dabei die örtlichen Skipper als Vorbilder für Jesu Apostel verwendet. Jesus selbst war ein Tischler, der gegenüber der Kirche einen heimlichen Ausschank betrieb. Es war eine gewagte Wahl, aber Rasmussen kam damit durch. Die Begeisterung über sein Talent kannte keine Grenzen. Auf eine ganz und gar unbegreifliche Weise arbeitete Carl Rasmussen die Ähnlichkeiten seiner Modelle heraus.
Auch Albert wollte er porträtieren. Albert hatte James Cook herausgeholt
und gebeten, mit ihm zusammen abgebildet zu werden. Doch Rasmussen bekam Magenschmerzen beim Anblick des Schrumpfkopfes und musste sich aufs Sofa legen.
Albert hatte immer das Gefühl gehabt, dass der Maler nach Marstal gekommen war, um etwas zu suchen, das er nicht fand. Was es gewesen war, wusste er nicht. Aber es hielt sich das Gerücht, dass es sich bei Rasmussens Tod um Selbstmord gehandelt habe. Das war kein boshaftes Gerede. Das Gerücht fußte auf ganz schlichter Seemannschaft. Denn niemand begriff, wie man bei ruhigem Wetter über Bord eines Schiffs fallen konnte. Carl Rasmussen hatte an Deck gestanden und eben noch gemalt – und im nächsten Moment war er verschwunden.
Anna Egidia Rasmussen schenkte den Kaffee in die blau gemusterten Porzellantassen.
«Nehmen Sie einen Keks.» Sie schob ihm die Schale hinüber. «Ich habe sie selbst gebacken. Nun ja, eigentlich nur wegen der Enkelkinder.» Sie lächelte.
Albert nahm einen Keks und tunkte ihn in den Kaffee.
«Wir hatten viele Diskussionen über seine Malerei», sagte er. «Allerdings nicht über die religiösen Werke.»
«Ja, daran erinnere ich mich gut. Ihrer Meinung nach schränkte er sich zu sehr ein, wenn er nur das Leben hier in der Stadt und auf den umliegenden Insel abbildete. Ich glaube, dass er Ihnen schließlich recht gab.»
«Ich bin ja kein Maler», erklärte Albert, «ich war bestimmt nicht der Richtige, um ihm einen Rat zu erteilen. Ich glaube an den Fortschritt, jedenfalls glaubte ich an ihn. Aber wie malt man den Fortschritt? Darauf weiß ich keine Antwort.»
«Als Dampfer mit rauchendem Schornstein?»
Er hörte die Ironie in ihrer Stimme und lachte.
«Sie haben recht, Frau Rasmussen. Wir Laien sollten uns nicht in das Metier eines Malers einmischen. Irgendwann einmal dachte ich, dass die Mole das Symbol für alles sei, was die Bevölkerung dieser Stadt vermag. Aber eine derartige Menge Steine wäre niemals ein interessantes Motiv gewesen. Und nun muss ich einsehen, dass es eine Sache gibt, gegen die uns die Mole nicht schützen kann, und das ist unsere eigene Gier.
Ja, ich muss zugeben, dass die Art und Weise, wie die Existenzgrundlage der Stadt zunichte gemacht wird, auf mich einen ebenso furchtbaren Eindruck macht wie der Krieg.»
«Sie meinen den Verkauf der Schiffe?»
«Ja, genau. Die Existenzgrundlage der Stadt ist doch das Meer. Wenn wir die Verbindung zum Meer kappen, was soll denn dann aus der Stadt werden? Es scheint, dass die Zeit eine Art Verweichlichung mit sich bringt. Plötzlich ist es nicht mehr fein genug, Seemann zu sein. Die verbesserten Schulbedingungen spielen sicher eine Rolle dabei. Die Kinder haben ein größeres Wissen und sehen plötzlich bessere Möglichkeiten, als zur See zu fahren wie ihre Väter und ihre Großväter vor ihnen. Aber ich glaube auch, dass die Mütter einen gehörigen Anteil an dieser Entwicklung haben. Sie versäumen ja niemals eine Gelegenheit, ihren Söhnen von den vielen harten Reisen zu erzählen, auf die der Vater gehen musste, und von den unzähligen kummervollen Tagen und Stunden voller Unruhe und Sorgen, die sie selbst erlebt hatten, wenn der Vater unterwegs war. Wenn sie dieses Gejammer lange genug hören, verlieren die Jungen die Lust an einem Leben auf See. Und weshalb noch Schiffe halten, wenn der Markt so günstig ist? Es gibt doch ohnehin niemanden, der den Beruf weiter ausüben will.»
«Haben Sie je daran gedacht, wie es ist, Kind eines Seemanns zu sein?»
«Ja, ganz sicher habe ich das. Ich stamme aus einer Seemannsfamilie.»
«Nehmen Sie so einen Burschen, der mit vierzehn zur See geht. Was glauben
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