Wir Ertrunkenen
bitten, sich nicht allzu sehr aufzuregen.
Sie ruderten zu den Pricken und sammelten den Rest ihrer Kleider ein. Die Sonne und der Wind hatten sie trocken werden lassen, doch niemand hatte daran gedacht, die Holzschuhe aus dem Wasser zu holen, als Helmer mit der Jolle kenterte. Sie waren mit der Strömung fortgetrieben.
Vilhjelm konnte seine Hose nicht finden und begann schlimmer als je zuvor zu stottern.
«Gib ihm deine», sagte Anton zu Knud Erik, «dann regt sich deine Mutter erst richtig auf.»
Noch immer lautete Antons Rezept von Freiheit: Mach deine Eltern so wütend wie möglich.
Die Leute gafften, als die Jungen barfuß und ohne Hosen durch die Straßen liefen. Sie wussten, dass es etwas setzen würde, wenn sie nach Hause kamen.
Aber es war ihnen egal. Durch nichts ließen sie sich an diesem Tag irritieren, an dem sie den ermordeten Mann fanden. Sie hatten ein Geheimnis, und ein Geheimnis bedeutete Macht.
Ein paar Tage später traf sich Anton mit Kristian Stærk und schlug ihm vor, zusammen eine neue Bande zu gründen, die seiner Meinung nach die stärkste der Stadt sein würde. Das letzte Wort benutzte er nur, um dem Anführer der Starken zu schmeicheln. Er hatte Knud Erik und Vilhjelm als seine Adjutanten mitgenommen. Deren wichtigste Aufgabe war es, eine Holzkiste zu tragen, in der der Schädel des Ermordeten lag. In den schwierigen Verhandlungen, die nun bevorstanden, sah Anton den Schädel als ein wichtiges und überzeugendes Argument an.
Antons größte Probleme waren sein Alter und seine geringe Größe, als er Kristian Stærk gegenüberstand. Kristian war fünfzehn Jahre alt und erheblich größer als er, mit breiten Schultern und einem dicken Hals, auf dem ein Kopf saß, der im Verhältnis zum restlichen Körper verblüffend klein wirkte. Er hatte große, abstehende Ohren, und Anton hatte mal gesagt, dass Kristians Kopf die Flügel ausgefahren hätte und überlegen würde fortzufliegen, um sich einen passenderen Körper zu suchen. Niemand sagte so etwas, wenn Kristian Stærk es hören konnte, denn er teilte gern «Pferdeküsse» aus oder verdrehte mit seinen feuchten Händen die Haut am Handgelenk zu «Tausend Stecknadeln».
Kristian Stærk ging beim Eisenwarenhändler Samuelsen in der Kongegade
in die Lehre, und es gab niemanden, der verstand, wieso er sich noch immer mit den Banden herumtrieb und prügelte. Niemand von den Erwachsenen nahm Kristian Stærk ernst. Aber sämtliche Kinder der Stadt fürchteten ihn, und das war wohl auch der Grund, warum er sich weiterhin so kindisch benahm. Er zog einen Umgang vor, in dem er der Größte und Stärkste sein konnte.
Bei Anton verhielt es sich umgekehrt. Die Erwachsenen, zumeist die Mütter, hielten nicht sonderlich viel von einem Jungen, der mit einem einzigen Schuss in halb Marstal das Licht gelöscht hatte. Die Jungen der Stadt indes sahen zu ihm auf. Anton selbst war es egal, ob die Leute größer oder kleiner waren als er, denn er hielt sich in jedem Fall für den Gerissensten von allen.
Kristian Stærk empfing Anton freundlicher, als er es erwartet hatte. Anton eilte sein Ruf voraus. Aber er wusste genau, dass sein stärkstes Argument in den nun folgenden Verhandlungen der Inhalt der Holzkiste war, die seine beiden Adjutanten Knud Erik und Vilhjelm mitgebracht hatten. Er bestand darauf, dass der Name der Bande «Albert-Bande» sein solle, und er hatte das Aufnahmeritual erweitert. Die zukünftigen Mitglieder sollten nicht nur in Alberts Stiefeln stehen und den Eid ablegen, sondern gleichzeitig auch eine Hand auf den Kopf des Ermordeten legen. Anton hatte das Seegras abgewaschen, den Schädel mit dem großen Loch im Hinterkopf blank poliert und entschieden, dass der Name des Ermordeten für alle Zeiten ein Geheimnis bleiben solle, davon ausgenommen waren nur die beiden Anführer der Bande, nämlich Kristian Stærk und er selbst.
Er bat Knud Erik, den Deckel der Kiste zu öffnen. Mit feierlicher Miene nahm er den Schädel heraus und reichte ihn Kristian Stærk, der ihn in die Hand nahm und dabei unablässig mit seinen abstehenden Ohren wackelte. Wir sahen, dass er Angst vor dem ermordeten Mann hatte, aber auch, dass sein durchtriebenes Jungenhirn im Körper eines erwachsenen Mannes mit Hochdruck arbeitete. Der Schädel appellierte auf eine ganz unwiderstehliche Weise an seine Phantasie, und Kristian wusste instinktiv, dass er auf alle anderen die gleiche Wirkung haben würde, die so dachten wie er. Derjenige, der den Kopf besaß,
Weitere Kostenlose Bücher