Wir Ertrunkenen
probiert hatte, es klang jedes Mal wieder falsch und hoffnungslos, ja beinahe verzweifelt mädchenhaft. Aber er musste es sagen. Er wusste nicht, wohin er mit seinem Bedürfnis zu helfen und zu trösten sollte, seit er und seine Mutter sich verändert hatten und auch die kleine Schwester Edith nicht mehr sein Ein und Alles sein konnte.
«Ich vermisse dich», sagte er.
Knud Erik wusste sofort, wie hilflos es klang. Er war der Kleine, Anton der Große, und natürlich vermisste der Kleine den Großen. Und
was kümmerte es den Großen? Die Großen haben immer genug mit sich selbst zu tun. Die Kleinen konnten sie dabei nicht brauchen.
Er war daher geradezu erschüttert, ja beinahe zu Tode erschrocken über Antons Reaktion.
Anton begann zu weinen.
Anton war nicht wie andere Menschen, und daher weinte er auch nicht wie andere. Sein Weinen war voller Widerwillen. Es klang, als ob ein Marder, den er unter seinem Pullover verbarg, ihm den Bauch aufriss und er einfach einem furchtbaren physischen Schmerz Ausdruck verleihen musste. Während er weinte, bekam er einen Gesichtsausdruck, als würde er am liebsten auf sich selbst eindreschen, um dieses unnatürliche Weinen zu beenden, das er so gar nicht unter Kontrolle hatte. Er hielt beide Hände vor den Mund und heulte durch die Finger. Er weinte Herman heraus, er weinte die Angst und die Einsamkeit heraus, und man sollte meinen, er weinte sich nun auch die Philosophie aus dem Leib, dass er nur für sich selbst lebte und andere nicht nötig hatte. Das jedoch tat er nicht. Als er endlich wieder sprechen konnte, war seine Stimme vollkommen nüchtern, obwohl die Augen hinter den Brillengläsern rot aussahen.
«Was, zum Teufel, willst du?», fragte er.
Knud Erik spürte bereits die Niederlage. Er hatte es doch gesagt, und es war ihm so schwergefallen; tatsächlich hatte er seine ganze, noch zarte Männlichkeit aufs Spiel gesetzt. Ich vermisse dich. Verstand er diese Worte denn nicht? Was sollte er sonst noch sagen? Ich möchte dir gern helfen, für dich da sein, dir eine Hand reichen? Diese Worte würden helfen.
Doch Knud Erik schwieg. Er war am Ende, nicht nur mit den Worten, sondern auch mit seinem Mut. Er wusste nicht mehr, was er sagen sollte, und es war sein Schweigen, das ihn rettete. Als Knud Erik stumm blieb, konnte Anton sich beruhigen und ihn bitten, ins Giebelzimmer zu kommen.
Hier platzte er mit der ganzen Geschichte heraus. Knud Erik war zu jung, um von Jepsens Verschwinden auf einem Törn zwischen Marstal und Rudkøbing gehört zu haben. Anton musste ihm alles erzählen. Die Geschichte war im Grunde schon schrecklich genug, und doch war es eher die Art, wie Anton sie erzählte, die Knud Erik beeindruckte. Er hörte, wie sich in jeder Pause zwischen den Worten ein Schluchzen versteckte,
das Anton nur mit größter Mühe zurückhalten konnte. Der Marder fraß sich tiefer und tiefer in seine Eingeweide, und bald würde er wieder zu schreien beginnen.
«Er hat Tordenskjold ermordet», sagte er.
Das machte Eindruck auf Knud Erik. Holger Jepsen kannte er nicht, aber Tordenskjold hatte er gekannt. Er war oft dabei gewesen, wenn Anton die Sturmmöwe mit Fischen und Spatzen fütterte, die zu übel aussahen, um sie dem Bauern aus Midtmarken noch einmal zu verkaufen. Auch Knud Erik konnte sich dem Grauen nicht entziehen.
«Er bringt mich bestimmt auch um.»
Anton schloss die Augen, als würde er jeden Moment den tödlichen Schlag empfangen.
«Wieso gibst du ihm nicht einfach den Kopf?»
«Das kann ich nicht.»
Einen Augenblick lang war sie wieder da, die alte Unbeugsamkeit. Dann kehrte die Mutlosigkeit zurück.
«Es ist hoffnungslos. Er bringt mich trotzdem um.»
«Blödsinn», sagte Knud Erik, der überrascht war, wie viel Mut in ihm steckte. «Ganz sicher war es Kristian, der Herman von dem Kopf erzählt hat. Er war doch der Einzige außer dir, der wusste, wer es war.»
Anton bebte vor Wut.
«Ich bringe Kristian um», zischte er. «Herman kann ich nicht erwischen, aber ihn schon.»
«Du hast ihm bereits ein Auge ausgeschossen. Meinst du nicht, das reicht?»
Knud Erik überraschte sich mehr und mehr selbst. Nie hätte er gedacht, dass er so mit Anton reden könnte. Doch Anton war ein anderer als früher, also änderte er sich auch.
«Ich habe eine Idee», sagte er.
Als Herman ein paar Tage später Webers Café verließ, standen zwei Jungen auf dem Bürgersteig gegenüber und starrten ihn an. Er ging die Kirkestræde entlang, und sie folgten ihm auf der
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