Wir Ertrunkenen
Seufzer zu vernehmen. Es waren die Sterne, die das Gefängnis ihm verwehrt hatte.
Wenn du keinerlei Kennung hast, wenn der Wind, die Strömung und die Wolken dir nichts erzählen, wenn der Sextant über Bord gegangen ist und der Kompass nichts taugt, dann navigierst du nach den Sternen.
Jetzt war er zu Hause.
«Hurra!» war das Wort, das wir in den nächsten Tagen am häufigsten hören sollten. Auf der Ostsee fuhren wir an einem Dampfschiff voll schwedischer Truppen vorbei, und auf Deck der Slesvig riefen wir den tapferen Schweden ein dreifaches «Hurra!» zu. Am Zollamt in Kopenhagen empfing uns die Mannschaft der Fregatte Bellonas mit einem dreimaligen Hurraruf. Dann war die Reihe an den Offizieren, und auch sie wurden mit einem dreifachen «Hurra!» gefeiert. Kommandant Paludan ging als Erster an Land, so wie damals, als es galt, die Verwundeten an Bord der Christian VIII. ihrem Schicksal zu überlassen. Mit seinem Unverstand trug er die Verantwortung für zwei verlorene Schiffe, den Tod von einhundertfünfunddreißig Männern und die Gefangenschaft von weiteren eintausendeinhundert Mann. Und nun wurde er mit Ehrenbezeigungen empfangen. Er war ein Held, wir alle waren Helden. Die Hurrarufe wollten kein Ende nehmen.
Dann ging jeder für sich mit seinem Seesack in die Stadt und suchte sich eine Unterkunft für die Nacht. Schon bald saßen wir auf den Bänken der Wirtshäuser, prosteten uns zu und riefen: «Hurra!» Wir vermissten die Branntweineimer. Hier mussten wir selbst bezahlen, und der Rausch hielt nicht so lange an, wie er sollte.
Am nächsten Tag wurden wir auf den Holm beordert. Der Marineminister hatte verkündet, dass es für die vier Monate Gefangenschaft einen halben Monat Heuer gab. Hinterher mussten wir das Los ziehen. Einige wurden wieder auf die Schiffe der Marine geschickt, während es für die anderen nach Hause ging. Zwei Tage später kamen Laurids, Lille Clausen und Ejnar in Marstal an. In der Kirkestræde hatte man eine Ehrenpforte errichtet, es wurde «Hurra!» für die Heimkehrer gebrüllt und um die Toten getrauert.
Inmitten der Schar, die uns begrüßte, stand ein fürchterlich verunstalteter Mensch. Eines seiner Augen und die rechte Wange fehlten, und der Unterkiefer bohrte sich durch unablässig nässendes Fleisch. Jeder, der ihn sah, wandte den Blick ab, sogar wir, die wir doch an diesem entsetzlichen Tag in der Eckernförder Bucht so viel Schreckliches erlebt hatten.
Erst als er uns begrüßte, erkannten wir ihn an der Stimme.
Es war Kresten.
Ihm war nicht der ganze Kopf abgeschossen worden, wie Torvald Bøn-nelykke
behauptet hatte, nur der halbe. Er hatte bis vor Kurzem in einem Krankenhaus in Deutschland gelegen und war einige Tage vor uns anderen nach Hause geschickt worden. Die Militärärzte hatten versucht, ihn zusammenzuflicken, doch der zerschmetterte Kiefer wollte nicht heilen. Nun wohnte er bei seiner Mutter, deren verloren gegangener Verstand bei ihrem Wiedersehen nicht zurückgekehrt war. Sie fragte auch weiterhin nach ihrem verschwundenen Sohn. Und wenn der arme Kresten beteuerte, er sei es doch, der vor ihr stehe, steckte sie einen Finger in seine hohle Wange, wie der Zweifler Thomas, der seine Hand in die Wunde des Erlösers gesteckt hatte. Aber im Gegensatz zu Thomas wurde sie nicht gläubig, sondern beharrte stattdessen unbarmherzig darauf, dass Kresten so nicht ausgesehen hätte. Und Kresten, der trotz seines entstellten Gesichts Trost und Wiedersehensfreude erwartet hatte, weinte mit dem Auge, das ihm noch geblieben war, und sagte, dass es wohl am besten für alle gewesen wäre, wenn er wirklich, wie von ihm vorausgesagt, den Tod gefunden hätte.
Seinen Ruf als Himmelsfahrer bekam Laurids noch einmal für kurze Zeit zurück. Ejnar hatte diese wunderliche Begebenheit in einem Brief beschrieben. Nun wollten sie es alle aus Laurids’ eigenem Mund hören, mit Ausnahme von Karoline, die überzeugt war, dass es sich um eine seiner üblichen Geschichten handelte. Die Kinder stellten sich im Kreis um ihn herum auf und riefen: « Papa tru, erzähl, erzähl!»
Albert, der Jüngste, schrie am lautesten. Mit leuchtenden Augen sah er seinen Vater an. Die beiden waren sich wirklich sehr ähnlich.
Doch Laurids schaute sie mit diesem neuen, fremden Blick an, den er aus der Gefangenschaft mitgebracht hatte, als wären es nicht seine eigenen Kinder, ja, als wäre allein der Gedanke, dass er überhaupt Nachkommen in die Welt gesetzt haben sollte, vollkommen
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