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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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einer Ecke des Dachbodens fluchte jemand über den Lärm aus der Kammer der Knaben. Noch war es nicht Zeit zu schlafen, aber alles, was mit den Kadetten zusammenhing, weckte inzwischen unseren Unmut.
    Es wurde an die Tür der Kadetten gehämmert und Nachtruhe verlangt. Sofort antwortete eine helle Jungenstimme frech, dass wir das Maul halten sollten.
    « – oder wir schneiden dir den Schwanz ab, du Bauerntrampel!»
    «Sag das noch mal!», brüllte der Matrose an der Tür.
    Ein besoffener Haufen, der auf der Bank an dem schweren Tisch in der Mitte unserer Unterkunft saß, kam auf die Beine. Sie hoben die Bank an und schwenkten sie hin und her, als wollten sie ihr Gewicht prüfen. Dann liefen sie mit der Bank als Rammbock auf den Raum der Kadetten zu und ließen sie mit einem gewaltigen Schlag gegen die Tür krachen. Drinnen wurde es augenblicklich still.

    «Na!», rief einer der Männer. «Jetzt seid ihr wohl nicht mehr so vorlaut!»
    Die Männer traten zurück, um Anlauf zu nehmen, und stürmten erneut los. Diesmal gab die Tür nach, und sie stolperten in den Raum. Ein Tisch stürzte um, eine Flasche flog auf den Boden, dann begann einer zu schreien. Eine große Gruppe Neugieriger versammelte sich vor der Tür und begann, die Kämpfenden anzufeuern. Ganz hinten in der Gruppe hatten sich Ejnar und Lille Clausen auf die Zehenspitzen gestellt, um etwas von der Prügelei mitzubekommen, aber durch die schmale Türöffnung war nichts zu erkennen.
    Vom Lärm alarmiert, tauchten die Soldaten auf. Sie schlugen mit den Gewehrkolben um sich und drangen bis zur Kammer der Kadetten vor, wo sie die Kämpfenden trennten.
    Kurz darauf erschien einer nach dem anderen. Die Kadetten mit hängenden Köpfen. Es war nicht zu übersehen, wer am meisten abgekriegt hatte. Wedel blutete aus der Nase. Ein anderer Kadett zeigte sein lädiertes Auge, das bereits zuzuschwellen begann. Ein dritter spuckte einen Zahnstummel aus, als er in der Tür auftauchte. Blut lief ihm über das Kinn.
    «Da hat einer seinen Milchzahn verloren!», rief jemand aus der Gruppe.
    Kurze Zeit später erschien Kommandant Fleischer, ein massiger Mann mit hoher Stirn und blondem Rosshaar im Nacken. Seine Wangen brannten, und seine Lippen waren feucht. In einem seiner Mundwinkel hing noch Sauce, als käme er gerade von einer Abendgesellschaft und hätte vergessen, sich den Mund abzuwischen.
    Er hatte den Rang eines Majors, enttäuschte uns aber sofort mit seinem gemütlichen Ton.
    «Aber so geht das doch nicht. Ihr müsst euren Offizieren schon ein wenig Respekt entgegenbringen. Sonst muss ich sehr viel strenger mit euch umgehen, und das würde ich nur sehr ungern tun. Also lasst uns das gemeinsam klären. Ihr werdet ja bald ausgetauscht, daher besteht doch gar kein Anlass, dass wir uns in der Zwischenzeit überwerfen.»
    Wir sahen uns an. Das sollte der Feind sein, der Deutsche, der uns das Deck unter den Füßen weggeschossen hatte und uns nun gefangen hielt?

     
    Die nächsten Tage verliefen friedlich. Die Branntweineimer waren stets gefüllt, und wir begannen wieder zu trinken. Jørgen Mærke ließ keine Gelegenheit aus, die Soldaten zu provozieren. Affenärsche nannte er sie, Kuhfladen, Wassernattern, schwanzlose Pygmäen und Halunken. Ständig hatte er einige Männer um sich. Wenn ein Soldat sich näherte, bildeten sie sofort eine schützende Mauer.
    Eines Tages wurde es den Soldaten zu viel. Sie hatten ihn im Visier, und zwei Männer kamen auf den Dachboden, um ihn an dem Tisch zu arretieren, an dem er mit seinen Anhängern saß. Der Grund seiner Festnahme wäre Trunkenheit, erklärten sie.
    Jørgen Mærkes Männer lachten über die Anklage laut auf und streckten die Arme vor. «Verhaftet uns alle sechshundert.»
    Die Soldaten packten Mærke an der Schulter. Doch er hielt sich an der Tischkante fest, wobei er seine üblichen Beleidigungen ausstieß und rasch noch ein paar neue hinzufügte.
    Seine Leute sprangen auf und drängten sich an die beiden Soldaten, um sie daran zu hindern, ihre Gewehre einzusetzen. Dann schubsten sie sie in Richtung Treppe. Die Soldaten waren eingeschüchtert und leisteten kaum Widerstand. Einer der beiden taumelte rückwärts die Treppe hinunter. Der andere erhielt einen Stoß und folgte ihm nach. Er fiel und verlor sein Gewehr. Ein paar Stufen weiter unten blieb es liegen.
    Die Aufrührer blickten abwechselnd sich und das Gewehr an.
    Niemand rührte sich. Es wurde ganz still.
    Auf dem Treppenabsatz kam der Soldat wieder auf die Beine.

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