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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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Alberts Aufzeichnungen gelesen haben musste, als er damals dessen Stiefel bekam.
    Anton erzählte, wie er Albert tot aufgefunden habe, und zusammen berichteten sie von der Bande, die sie nach dem verstorbenen Kapitän benannt hatten. Vilhjelm erwähnte den Fund des Schädels des ermordeten Jepsen. Knud Eriks Blick fiel auf den Mann, den die Besatzung «Old Funny» nannte, um zu sehen, welche Wirkung die Geschichte auf ihn ausübte.
    Jetzt redet er sich heraus, jetzt leugnet er alles, dachte er.
    Herman sah einen Moment vor sich hin.
    «Ich bin es, über den Vilhjelm da gerade berichtet», sagte er dann nachdenklich, als würde er erst jetzt von dem Mord an seinem Stiefvater erfahren.
    «Ich habe meinen Stiefvater umgebracht. Er stand mir im Weg. Ich war jung. Ich war so ungeduldig.»
    Er begann zu erzählen, wie er als Fünfzehnjähriger allein einen Bramsegelschoner zurück nach Marstal gesegelt hatte. Als wäre der Mord nur der Auftakt zu einem wesentlich interessanteren Teil der Geschichte gewesen.
    Die Besatzung starrte ihn an, sie ließen sich von der spannenden Geschichte mitreißen. Old Funny, der geborene Erzähler, war ein gefährlicher Mörder, nun ja. Also hatte der Kapitän doch recht gehabt. Aber schaute man ihn sich jetzt an, so hatte er doch seine Strafe bekommen.
    Knud Erik wurde klar, dass Hermans jämmerlicher Zustand – beinlos und einarmig – ein Gnadengesuch war, dem jederzeit stattgegeben wurde. Er brauchte um das Mitleid seiner Zuhörer nicht zu bitten. Er hatte
es von vornherein. Einst war Old Funny ein Mann gewesen, der die Macht besaß, andere umzubringen – und was war er nun?
    Anton, Knud Erik und Vilhjelm sahen sich an. Ein Geständnis hatten sie nicht erwartet, gern hätten sie jetzt nachgebohrt. Aber die Geschichte war noch nicht zu Ende, und die Zuhörer wollten mehr hören.
    «Und was ist dann passiert?», fragten sie, und Anton musste von Kristian Stærk und dem Mord an Tordenskjold erzählen.
    «Hast du das wirklich gemacht?», fragte Wally und warf Herman einen vorwurfsvollen Blick zu.
    Knud Erik konnte den Triumph in seiner Stimme nicht unterdrücken, als er berichtete, wie sie Old Funny nur durch Anstarren aus der Stadt vertrieben hatten, obwohl die meisten Bandenmitglieder nicht einmal wussten, dass er ein Mörder war, sondern glaubten, es ginge bloß um den Tod einer Möwe.
    Old Funny bekam einen ärgerlichen Gesichtsausdruck, als würde er seine Flucht damals vor vielen Jahren bereuen. Dann blinzelte er Knud Erik zu und lachte.
    «Da habt ihr mich drangekriegt», sagte er.
    Dann fing er an, von der Kopenhagener Börse und Henckel zu erzählen und wie er das geerbte Geld verlor, auf das er so viele Jahre gewartet hatte. Er war ein Mensch, der Höhen und Tiefen erlebt hatte.
    Vilhjelm berichtete über den Schiffbruch der Ane Marie und das «Andachtsbuch für Seeleute», das er noch immer auswendig konnte. Sie sollten es überprüfen, wenn sie wollten.
    «Also seid ihr schon mal im Eis gewesen und kennt die Verhältnisse», warf einer der britischen Kanoniere ein. «Da habt ihr ja geradezu eine Art Generalprobe für die Konvois veranstaltet.»
    «Verdammte Marstaler», warf ein Kanadier ein. «Überall müsst ihr eure Nasen reinstecken, und überall seid ihr schon gewesen.»
    Die Geschichte war jetzt bei Fräulein Kristina und Ivar angelangt, und Knud Erik erzählte sie in einem Tonfall, der immer deutlicher nach einer Anklage klang.
    Old Funny verteidigte sich.
    «Ich gebe überhaupt nichts zu», sagte er, «denn es war kein Mord. Manche konnten ihren Kram, andere nicht. Ich hab ihn ganz einfach getestet, mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.»

    Er sah sich in der Runde um, einige nickten.
    «Und Fräulein Kristina?», hakte Knud Erik nach.
    Ja, das war dumm. Das räumte Herman bereitwillig ein. Dann machte er mit der Wichshand eine Bewegung, als wäre das letztlich doch nur eine Bagatelle.
    «Du hast Leben zerstört!»
    Knud Erik war wütend.
    Ja, ja, das war wohl so. Er sagte nicht: Seht mich jetzt an. Aber sein Körper sprach für ihn, und das reichte aus. Es war alles Vergangenheit. Von ihm war nichts Böses mehr zu erwarten.
    Knud Erik stand auf und ging.
    Aber die Geschichte wurde weitererzählt. Es gab nichts, was sie jetzt noch aufhalten konnte.
    Old Funny beschrieb seine Nacht in Setubal. War es Angabe oder die Wahrheit? Schwer zu sagen. Ein Teufelskerl war er jedenfalls gewesen. Das konnte jeder aus den Blicken der Zuhörer herauslesen.
    Die Geschichte hatte sich in

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