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Wir Ertrunkenen

Wir Ertrunkenen

Titel: Wir Ertrunkenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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alle Richtungen ausgedehnt und wieder zusammengezogen, bis sie sich wie ein schützender Ring um die Nimbus legte.
    Bluetooth lag in der Wiege und ließ die Teleskopaugen von Gesicht zu Gesicht wandern. Er war wie gewöhnlich auf Entdeckungsreise im Universum und vermittelte den Eindruck, als verstünde er alles.
    Um den Tisch in der Messe wurden sie zu einer verschworenen Gemeinschaft, unwillig und widerstrebend. Zu einer Gemeinschaft, wie ein Schiff sie braucht, das musste sogar Knud Erik einräumen.

    Als sie Liverpool erreichten, bat Herman, beim Kapitän vorgelassen zu werden. Knud Erik empfing ihn an Deck, dort, wo er vor einiger Zeit Hermans Ankunft mitgeteilt und die leeren Hosenbeine entblößt hatte. Herman kam nicht, um sich zu verabschieden oder sich zu bedanken. Er bat um Erlaubnis, an Bord der Nimbus bleiben zu dürfen. Sie wären doch Landsleute, aus derselben Stadt. Und in der Messe und als Ausguck hätte er sich schließlich bewährt, meinte er. Auch wollte er daran
erinnern, dass er bei einer Gelegenheit das Schiff vor einem Torpedo gerettet hatte.
    Knud Erik schüttelte den Kopf.
    Es sah aus, als würde Herman bei Knud Eriks Ablehnung zusammenbrechen. Es war das erste und einzige Mal, das Knud Erik ihn so erlebte.
    «Schau mich an», sagte er. «Die sperren mich weg, in irgendein Heim.»
    «Meiner Meinung nach müsstest du in ein Gefängnis gesteckt werden.»
    «Und was soll aus mir werden?»
    Herman starrte auf den Boden. Er wirkte jetzt bemitleidenswert, aber seine Erbärmlichkeit erregte lediglich Knud Eriks Zorn.
    «Soweit ich weiß, gibt es keinen Grund, einen Mann nicht zu hängen, nur weil er nur einen Arm und keine Beine hat.»
    Die Besatzung stand ein wenig abseits und murrte. Sie sahen Old Funnys zusammengesunkener Gestalt an, wie die Verhandlungen standen. Absalon kam auf sie zu.
    «Kapitän», sagte er, «wir haben Unterschriften gesammelt.»
    Er reichte Knud Erik ein Stück Papier. Knud Erik ließ die Augen über die Liste gleiten. Die Besatzung bat geschlossen darum, Old Funny an Bord zu behalten. Nur Anton und Vilhjelm hatten nicht unterschrieben. Sophies Name stand ebenfalls nicht auf der Liste. Wahrscheinlich wollte sie sich nicht einmischen. Und im eigentlichen Sinn war sie ja auch kein Mitglied der Besatzung.
    «Ich werde darüber nachdenken.»
     
    Er bat Anton und Vilhjelm in die Kapitänskajüte.
    «Wenn ich ihn behalte, mustert ihr dann ab?»
    Sie schüttelten beide den Kopf.
    «Wir bleiben», sagte Anton. «Die Nimbus ist ein gutes Schiff, und ich glaube, Herman hat seinen Teil dazu beigetragen, obwohl ich es nur ungern zugebe. Wir wussten, dass du ablehnen würdest, und wir wollten dir nur sagen, dass wir auf deiner Seite stehen. Ich hasse das Schwein, aber manchmal muss man sich über seine Gefühle hinwegsetzen.»

    Knud Erik grübelte eine Weile. «All right, ich lasse ihn bleiben», sagte er. «Um des Schiffes willen.»
     
    Die Mannschaft feierte den Beschluss, indem sie Old Funny mit in die Stadt nahm. Am nächsten Morgen saß er mit blutunterlaufenen Augen und einer Gesichtsfarbe, die noch röter war als gewöhnlich, auf seinem Platz in der Messe.
    «Es soll der Tag kommen», sagte er in feierlichem Ton, als würde er aus der Bibel zitieren, «an dem alle Weiber der Welt in der Grube liegen und nach einem Schwanz schreien, aber nicht einen einzigen Zoll sollen sie dann bekommen.»
    «Muss ich das so verstehen», fragte Knud Erik, «dass es keine gab, die dich wollte?»
     
    Es war Knud Erik, der Sophie bat zu bleiben.
    «Ich freue mich, dass du es sagst», erwiderte sie, «sonst hätte ich dich gefragt, ob ich darf.»
    «Du kannst weiter in der Messe arbeiten, ich habe mit Helge gesprochen.»
    Eine Weile saßen sie wortlos beieinander. Er fühlte sich erleichtert, wusste aber nicht, wie er seine Freude über ihren Entschluss ausdrücken sollte.
    «Die Besatzung wird sich freuen, wenn sie es erfährt», sagte er stattdessen. «Alle lieben Bluetooth.»
    «Ich weiß nicht, ob es nicht unverantwortlich ist, im Krieg mit einem Kind zur See zu fahren. Aber wenn ich an Land bleibe, müsste ich den ganzen Tag in einer Munitionsfabrik arbeiten und würde ihn nie zu sehen bekommen. Er ist erst zwei Monate alt. Ich würde es nicht aushalten.»
    «Es gibt überall Bomben», sagte er.
    Ihm ging auf, dass sie zusammensaßen und sich über Bluetooth unterhielten wie ein Ehepaar über ihr Kind.
    «Ich weiß nicht, was ich mit mir anfangen sollte, wenn ich nicht zur See fahren

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